Jena. Ausstellung ohne Publikum: 30 Jahre Almanach „Common Sense“ im Romantikerhaus Jena.

Ulrich Tarlatt, Maler, Zeichner, Bildhauer und Grafiker in Bernburg/Saale, ist in der Welt der Bücher mindestens ebenso zu Hause wie in der Welt der Bilder. Seit 1987 betreibt er mit dem Lyriker und Schriftsteller Jörg Kowalski aus Halle die Edition Augenweide, „einen Verlag für originalgraphische Publikationen in kleinen Auflagen“, in der seit 1989 der Almanach für Kunst und Literatur „Common Sense“ erscheint. Im Jahrestakt wurden Künstler und Schriftsteller eingeladen, einen Beitrag zu schaffen und diesen als signierte Erstver­öffentlichung oder Originalgrafik im Almanach zu publizieren.

Dabei ließen ihnen die Herausgeber alle Freiheiten. Doch bei aller Unterschiedlichkeit der künstlerischen Positionen, der Techniken und Textsorten – Holz- und Linolschnitte, Radierungen, Lithografien, Siebdrucke, serielle Unikate, Collagen, Monotypien, Zeichnungen, Fotografien, Lyrik, Prosa, Poesie, Fragmente, Skizzen, Tagebuchaufzeichnungen und vieles mehr – erschließt sich die Struktur letztlich in der Reihung und Vielfalt.

Von Anfang an werden viele dieser Publikationen zu begehrten Sammlerstücken. Damit steht „Common Sense“ mit Inhalt, Aussehen und Verarbeitung in der Tradition jener Publikationen in der DDR, die vor 1989 in Auflagen bis 99 Stück jenseits staatlicher Druckgenehmigungen entstanden und den Künstlern somit wesentlich mehr Freiräume boten.

Direkt nach dem Mauerfall erschien der erste Band: Das Themenspektrum war entsprechend vielfältig, die politische Umbruchsituation des Jahres, aber auch die Lust auf Experimente reflektierend. Mit der 30. und letzten Ausgabe wurde im Dezember 2018 auch „Common Sense“ eingestellt. Doch mit ihren rund 500 Einzelbeiträgen bietet die Edition bis heute einen exzellenten Überblick über die vor allem deutschsprachige Kunst- und Literaturszene und vereint viele bekannte und weniger bekannten Künstler und Schriftsteller.

Aus dem großen Materialfundus von 30 Jahren Redaktionsarbeit hat Ulrich Tarlatt gemeinsam mit dem Kurator der Jenaer Kunstsammlung, Erik Stephan, eine Ausstellung mit mehr als 100 Zeichnungen, Grafiken, Gedichten, Texten, Fotografien, visueller Poesie und Multiples konzipiert. Als Gastausstellung sollte die Schau ab 14. März im Romantikerhaus gezeigt werden, da das Stadtmuseum Göhre wegen Fassaden- und Dachsanierung ohnehin für ein halbes Jahr geschlossen bleibt. Doch daraus wurde nichts. Wie alle Ausstellungen in Thüringen hängt sie nun – und bleibt wegen der Corona-Krise vorerst ohne Besucher. Bedauerlich für Kunstinteressierte und Künstler gleichermaßen.

„Die ,Edition Augenweide’ zählt zu den engagierten Kleinverlagen in Deutschlands Buchkunstlandschaft und ist vor allem der engagierten Beharrlichkeit Ulrich Tarlatts geschuldet, der seit mehr als 30 Jahren in geradezu idealistischer Tortur Almanache und Bücher produziert, die oft wunderschön sind, mit denen man aber garantiert nicht reich wird“, betont Erik Stephan. Doch leider ist eine Verschiebung auch in diesem Falle nicht möglich, weil das Ausstellungsjahr durchgeplant ist. Wenn der 24. Mai und damit das geplante Ende erreicht ist, muss im Romantikerhaus abgebaut werden. Nächste Station der Wanderausstellung wäre ab November dann Dresden.