Gera. Furioser Geraer Ballettabend „Lennon Forever“ erinnert an eine Jugend hinter der Mauer.

„What is just a dream“, singt Johnny Silver. Der Mann mit der Lennon-Brille, Lennon-Gitarre und verdammt guten Lennon-Stimme gibt musikalisch das Thema des Abends vor. Es wird – so viel vorweg – ein in vielerlei Hinsicht traumhafter, ein Abend, bei dem Musiker, Tänzer und Zuschauer für zwei Stunden abheben und doch nie gänzlich die Bodenhaftung verlieren. Dafür sorgt schon Andreas Auerbachs Bühne: Der Blick fällt auf eine mit Stacheldraht gespickte Betonmauer, die sinnbildlich für Ab- und Ausgrenzung steht und auch als Projektionsfläche dient. Immer wieder reiben und stoßen sich die Tänzer an diesem unüberwindlich anmutenden Bollwerk. Doch es hat Nischen, bekommt Risse und Brüche, durch die das „Yeah! Yeah! Yeah!“ des Klassenfeinds schallt.

„Lennon Forever“ ist kein Beatles-Ballett, kein bloßes Revival mit tänzerischen Mitteln, sondern trägt erkennbar autobiografische Züge. Die in der DDR aufgewachsene und von der Beatles-Musik geprägte Geraer Ballettchefin Silvana Schröder hat ihre Jugenderinnerungen in choreografischen Szenen verarbeitet und mischt sie mit dem Weltgefühl der jungen bis mittelalten Akteure. Nicht ein, zwei oder drei John Lennons treten auf, nein, eine ganze Armada in Jeans und T-Shirt gekleideter Männer wirbelt über die Bühne. In jedem von uns, meint das, schlummere ein kleiner Rebell.

Getanztes Lebensgefühl einer Generation

Das sehen auch die Mädels mit ihren wilden Mähnen und kurzen Jeanshöschen nicht anders. Geht es zunächst um sinnlich-sexuelles Erwachen, um Liebe, Eifersucht und Trennungsschmerz im Zeitalter des Kalten Krieges und früher Popmusik, steigt John Lennon (1940-1980) rasch auf zum Idol einer emanzipierten, rebellierenden Jugend, zum singenden Botschafter des Friedens.

Ob solo, im Duett oder in atemberaubenden Gruppenchoreografien – das international besetzte und mit Eleven aufgestockte Thüringer Staatsballett erweckt das Lebensgefühl einer Generation. Geschickt und geschmeidig verbindet Schröder klassisches Ballett mit Elementen des Street-Dance und Rock’n’Roll. Das ist ein körperliches Fließen und Kreisen, ein beständiges Suchen und Finden, Sich-Anpassen und Auflehnen, ein Wechsel zwischen individueller und kollektiver Erfahrung. Die live gespielten Songs – von „Dream“ und „Starting Over“ über „Come Together“ und „Real Love“ bis „God“, „Give Peace A Chance“ und „Free As A Bird“ – bilden die akustisch-gedankliche Assoziationskette. Mit der Verpflichtung des „deutschen Lennon“ – des musicalerfahrenen Johnny Silver – und seiner Band ist den Geraern ein Coup gelungen. Das Beatles-Revival-Quartett agiert unauffällig, doch mit großer Präsenz von der Mauerempore herab.

Nach ihrer Hommage an Édith Piaf und dem stets ausverkauften Keimzeit-Projekt hat Silvana Schröder mit „Lennon Forever“ wieder einen Blockbuster auf der Ballettbühne gelandet, wenngleich dem Stück diesmal der erzählerische Spannungsbogen fehlt. Zwar gelingen auch hier famose Szenen, doch die permanente Beschwörung von „Peace“ und „Love“ ermüdet mit der Zeit, und Walter Ulbrichts Beteuerungen, keine Mauer bauen und dem „Dreck, der aus dem Westen kommt“, einen Riegel vorschieben zu wollen, ein trotziges „She Loves You, Yeah!“ entgegen zu setzen, ist nicht wirklich originell. Es gibt einen interessanten Bruch, als die Freundin über die Mauer in den Westen abhaut, doch die meisten der Tanzbilder illustrieren eher das damalige Zeitgefühl, als dass sie Widersprüche aufreißen. Am Ende sitzen alle friedlich auf der Mauer – Reminiszenz an den 9. November 1989.

Wäre eine Straffung der Liedauswahl dem Thema nicht dienlicher gewesen? Zumal „Yesterday“, „Blackbird“ und „Let It Be“ doch eigentlich von Paul McCartney stammen. Und warum John Lennons Vermächtnis „Imagine“, zweifellos der Höhepunkt des Abends, durch den Beatles-Klassiker „All You Need Is Love“ wieder verwässern? Aufgabe der Kunst sei es doch, „Chaos in die Ordnung zu bringen“, wie der rebellische John meinte.

Zu Lennons „Power To The People“ bebt ordentlich die Bühne, und anschließend kommt es zu einem Massen-Sit-In an der Rampe. Das Publikum weiß nicht recht, ob es stillhalten oder die an der Garderobe empfangenen Leuchtstäbe schwingen soll, da wird der Hero von seinem verwirrten Fan auch schon zur Strecke gebracht. „Dream is over“? Von wegen. Von nun an wird zurückgeträumt.

Der Lennon-Abend, erklärt die Ballettchefin im Programmheft, habe selbst seine Geschichte. So sei ihr ursprüngliches Konzept an den Maßgaben der Witwe Yoko Ono gescheitert. Vielleicht ist ja der nunmehrige, zuweilen gefällige Blick auf die Lennon-Ära auch Zugeständnissen geschuldet, die sie der Rechteinhaberin machen musste. Nichtsdestotrotz, die Premiere mündet in Beatlemania. Schön zu erleben, wie sich die Choreografin einen Traum erfüllt und alle dabei glücklich macht.

Weitere Aufführungen: 12., 13., 14. und 31. Mai sowie 29. und 30. Juni