Marcus Schulze über das Brett mit den Rollen.

Diese Typen waren anders. Das habe ich damals sofort gemerkt. Damals, das war 1995. In diesem Jahr entdeckte ich jenes kleine Areal im letzten Winkel des Geraer Fußballstadions, in dem sich ein Skatepark befand. Diese Typen, die Skater, trugen weite Klamotten, die Hosen hingen tief und es mangelte auch nicht an Kapuzenpullis und abgewetzten Schuhen.

Sie umgab eine reservierte Aura, mit der sie zum Ausdruck brachten, dass sie der Rest da draußen nicht sonderlich interessieren würde. Diese kleine und äußerst verschworene Gruppe beäugte Neuankömmlinge äußerst skeptisch. Jeder, der ihr Revier betrat und offenkundig kein Skater war, stand unter Generalverdacht. Es schien keine Regeln zu geben, keiner sagte ihnen, was sie machen sollen, während nur ein paar Meter weiter Fußballtrainer ihre kickenden Schützlinge zusammenstauchten. Das gab es im Skatepark nicht. Es gab keine Trainer, nicht einmal feste Öffnungszeiten. Der Park war eigentlich immer offen. Kurzum: Es roch gewaltig nach Freiheit, mitunter sogar nach Anarchie.

Wie gesagt, das war 1995, Skateboarding hatte gerade ein Tief überstanden und erlebte nun eine kleine Renaissance. Es war das Jahr, in dem zum ersten Mal die X-Games ausgetragen wurden, Skaten sich auf einer großen medialen Bühne präsentieren konnte. 25 Jahre danach, also 2020, wird die rollende Zunft nun Bestandteil des Kanons der Olympischen Spiele werden – und daran scheiden sich innerhalb der Szene die Geister. Insbesondere ältere Protagonisten schütteln diesbezüglich nur mit dem Kopf.

Denn ein Großteil betrachtet das Skaten nicht als Sport, sondern als einen Lifestyle. Sie sehen den freiheitlichen Charakter gefährdet. Für viele ist Skaten auch immer ein Gegenentwurf zum Leistungsgedanken des klassischen Sports gewesen mit seinen Regeln, Verbänden und Statuten und weiß der Geier was. „Skateboarding Is not a Sport“ stand einst auf einem Sticker.

Auch in der Skaterszene gibt es Wettbewerbe

Doch das ist nur eine Seite, denn jüngere Skater bewerten die Aufnahme weitaus positiver. In Zeiten der medialen Selbstvermarktung in sozialen Netzwerken kann die Bühne gar nicht groß genug sein. Die Jüngeren in der Szene kennen den Underdog-Status nicht, sind mit Skatespielen und der permanenten Verfügbarkeit von Skatevideos aus der ganzen Welt aufgewachsen. Ein Klick auf das Smartphone genügt heutzutage, um zu wissen, was Profis wie Nyjah Huston, Chris Joslin, Evan Smith oder Louie Lopez gerade so treiben. Warum also nicht auch bei den Olympischen Spielen mitmachen? Gleichzeitig erhoffen sich nicht wenige von dem Auftritt auch eine größere Bekanntheit, die wiederum mehr Akzeptanz und vielleicht auch mehr Geld für Parks und dergleichen nach sich ziehen könnte.

Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass es auch in der Szene Wettbewerbe gibt, bei denen es mittlerweile um sehr viel Geld geht. Und wo es um sehr viel Geld geht, verabschieden sich naturgemäß Spaß und Idealismus. Man denke nur an die Contest-Serie „Street League“. Doch sie spiegeln nicht das Wesen des Skatens wider, dessen ureigener Ort nicht der künstliche Park ist, – sieht man einmal von den Vertfahrern in der Halfpipe ab – , sondern die urbane Architektur und die Straße.

Contests haben im Idealfall den Charakter eines Jams und beschwören das Miteinander. Natürlich gibt es Skater, denen das Abschneiden bei einem Contest wichtig ist, doch es gibt eben auch jene, denen das egal ist, die sich dergleichen sogar verweigern – und gerade dafür gefeiert werden. Seit jeher schlägt erfolgreichen Skatern ein großes Misstrauen entgegen. Auch ein Tony Hawk musste Kritik über sich ergehen lassen oder ein Ryan Sheck-ler, als er mit MTV kooperierte.

Meines Erachtens wird Skaten nicht in seinen Grundfesten erschüttert, nur weil es jetzt olympisch ist. Doch alle sollten sich darüber im Klaren sein, dass dieser genormte Wettbewerb nicht die Essenz dieses Lifestyles wiedergeben kann. Der ihm innewohnende Freiheitsgedanke wird nicht bei Olympia beschworen, sondern tagtäglich in Parks und Straßen. Ich persönlich brauche diesen Contest nicht, doch ein Nachteil ist er auch nicht, höchstens irgendwie befremdlich.

Und sollte durch den Olympia-Status auch Geld für Parks und Hallen herausspringen, wäre das begrüßenswert. Letztlich bin ich der Überzeugung, dass das Skaten nach Höhen und Tiefen Olympia nicht braucht. Womöglich aber Olympia – aufgrund rückläufiger Resonanz und fehlender Lässigkeit – mittlerweile das Skaten.