Holger Zaumsegel über den Doping-Dunst im Sprintbereich.

Es war einer jener Momente, die auch im Nebel des Vergessens hell leuchten und jederzeit greifbar sind. London, 5. August 2017: Der letzte Auftritt von Usain Bolt. Der Megastar der Leichtathletik bestritt bei dieser WM sein letztes großes Einzelrennen. Sein dritter Platz über 100 Meter hinter den US-Amerikanern Justin Gatlin und Christian Coleman störte wenig. Der Hauptdarsteller blieb Bolt. Er ließ sich von den Zuschauern, die sein Publikum waren, minutenlang feiern. Das London Stadion war seine Bühne und selbst im Pressebereich konnte man sich als Reporter nicht der Faszination, die dieser Mann ausstrahlt, entziehen. Der Jamaikaner, der acht olympische Goldmedaillen sein eigen nennt, hat weltweit die Stadien gefüllt und die Sprintdistanzen und seinen Sport in einem nie dagewesenen magischen Glanz erstrahlen lassen.

Zwei Jahre später ist dieser Glanz längst verblasst. Bolts Abschied war eine Zäsur für die Leichtathletik. Die von den Menschen so geliebten 100 Meter versinken heute mehr und mehr im Doping-Dunst. Statistiker haben errechnet, dass von den 50 schnellsten jemals über diese Distanz gelaufenen Zeiten genau 15 von einem Läufer stammen, der niemals mit Doping in Verbindung gebracht werden konnte – Usain Bolt.

Die anderen Top-Sprinter aus dieser Liste haben keine weiße Weste. Das ist heute umso bedauerlicher, weil Bolts Fabel-Weltrekord von den Welt-Titelkämpfen in Berlin 2009 (9,58 Sekunden) in diesem Jahr genau zehn Jahre her ist.

Jüngstes Negativ-Beispiel aus dem Sprintbereich ist Christian Coleman. Der Nachname des Mannes, der in diesem Jahr mit 9,81 Sekunden Erster der Weltjahresbestenliste ist, erinnert ein bisschen an Peter Steiners „It’s cool, man!“-Techno-Hit aus den 1990er-Jahren. Doch anders als der „Alm-Öhi“-ähnliche Werbeschauspieler mit seinem Sprechgesang ist das, was Coleman in diesem Jahr gemacht hat, gar nicht cool.

Gleich drei unangekündigte Doping-Tests soll er versäumt haben. Zwei durch die Anti-Doping Agentur der USA (Usada) und einen durch die Athletics Integrity Unit (AIU), eine Agentur, die im Auftrag des Leichtathletik-Weltverbands arbeitet. Coleman bestreitet die Vorwürfe und wird deshalb am 4. September von der Usada angehört.

Harro Schwuchow, Trainer von Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler aus Jena, kennt Coleman tatsächlich als coolen Typen. Auch bei ihm gelte die Unschuldsvermutung, findet er. Dass man allerdings gleich drei Tests versäumt haben soll, sei schon ziemlich seltsam. „Einen aus Versehen zu verpassen, kann passieren. Aber gleich drei? Das ist als ob man die Gelbe Karte sieht und danach rüde weiter foult. “ Coleman droht eine Sperre von ein bis zwei Jahren. Die WM in Doha und selbst die Olympischen Spiele 2020 in Tokio sind für den Mann, der als Bolts-Nachfolger gehandelt wurde, akut gefährdet.

Thomas Röhler kennt das Doping-Kontrollsystem, wird als Top-Athlet irca 25-mal im Jahr getestet. Im Internet muss er für jeden Tag seinen Aufenthaltsort sowie eine Stunde, wo er ganz konkret anzutreffen ist, angeben. Nicht selten standen die Fahnder früh um sechs Uhr an seiner Haustür, klingelten ihn aus dem Bett. Einen Test versäumt hat er in den vergangenen neun Jahren dennoch nie. „Für Außenstehende klingt das immer komisch. Für uns Sportler ist es normal und gehört dazu. Seinen Aufenthaltsort angeben, ist im Prinzip so etwas, wie die Hausaufgaben machen für einen Athleten“, sagt er.

Coleman hat seine offensichtlich schlecht erledigt und seiner ohnehin gebeutelten Sportart selbst im Falle eines Freispruchs einen Bärendienst erwiesen. Den Verdacht wird er jetzt nicht mehr los. Top-Favorit auf den WM-Titel in Doha dürfte – sollte Coleman gesperrt werden – Justin Gatlin sein. Jener Mann also, der schon zweimal des Dopings überführt wurde und der deswegen in London 2017 bei seinem Titelgewinn gnadenlos vom Publikum ausgepfiffen wurde. Jener Mann, der trotz anderslautender Bekundungen wieder auf den Trainer setzt, der ebenfalls des Dopings überführt wurde. Und jener Mann, den Coleman seinen Mentor nennt.

Statt hoch geachteter Paradedisziplin werden die 100 Meter der Männer in Doha eine Distanz sein, in der der Verdacht immer mitläuft. Verantwortlich dafür ist ein Teil der Sportler selbst. Sie werfen einen Schatten auf die magischen 100.

Es bleibt nur die Erinnerung an die Lichtblicke vergangener Tage.