Jörg Riebartsch  zur Frage, wie uneins Europa aktuell mit Menschenrechten umgeht.

Auf die Gefahren eines ausgestreckten Zeigefingers hatte schon in der alten Bundesrepublik als Präsident Gustav Heinemann hingewiesen. Dem Sozialdemokraten war aufgefallen, dass bei dieser Geste gleich drei Finger der Hand auf einen selbst zurückzeigen. Heißt: Bevor man andere anklagt, sollte man sicher sein, selbst ein reines Herzen zu haben.

In Deutschland und auch im Rest von Europa ist man gern schnell mit dem Zeigefinger zur Hand. Die Situation der Menschenrechte beispielsweise in Weißrussland, neuerdings nur in der Kurzform als Belarus benannt, ist flugs gegeißelt. In einer Grundrechte-Charta hat sich die Europäische Union sogar dazu verpflichtet, für Menschenrechte einzutreten.

In einem Ort namens Moria, auf einer griechischen Insel, macht die Union nun aber alles andere, als für Menschenrechte einzutreten. Sie tritt sie mit Füßen, lässt Tausende Menschen obdachlos sein und auch einfach krepieren. Der Umgang mit geschätzten 12.000 Menschen in einem Flüchtlingslager dort ist schlichtweg unmenschlich.

Um das schlechte Gewissen zu beruhigen, rangelt man um einige Hunderte Familien, die bereits als Flüchtlinge anerkannt sind. Deutschland wollte 408 Familien aufnehmen. Österreich beispielsweise keine. Als einziges gewahrtes Ziel der Europäischen Gemeinschaft ist geblieben, gegeneinander keine Kriege zu führen. Was macht eine Gemeinschaft eigentlich noch für einen Sinn, wenn man sich noch nicht einmal einig darin ist, die gemeinsamen Grundwerte zu verfolgen? Entweder, man ändert die Grundwerte je nach den wechselnden politischen Strömungen in den Mitgliedsländern. Oder wer die Grundwerte nicht teilt, fliegt raus.

Auf alle Fälle hat die Europäische Gemeinschaft jegliche Ansprüche verwirkt, das europäische Modell der Menschenrechte als Exportartikel zu betrachten. Den Zeigefinger also besser in der Hand verstecken.