Tim Braune über den Parteitag der Grünen.

Fast 100 Prozent für Annalena Baerbock. Noch nie in 25 Jahren hat die Ökopartei einer Vorsitzenden ein so phänomenales Ergebnis bereitet. Auch mehr als 90 Prozent für Robert Habeck sind nicht von schlechten Eltern. Die Grünen lieben ihre Doppelspitze. Dabei war ihnen Personenkult immer suspekt. Ebenso demonstrative Geschlossenheit. Das überließen sie den Volksparteien CDU und SPD. Damit ist Schluss. Auf dem Bielefelder Parteitag wurde nur bei Enteignungen oder CO2-Preisen leidenschaftlich gestritten. Ansonsten blieb es verdächtig ruhig. Man kann das langweilig finden. Oder schlau. Warum sollten die Grünen ihre vorhandenen inhaltlichen Schwächen auf offener Bühne zeigen?Noch hält die Thermik die Klima-Klientelpartei auf der 20-Prozent-Umfragewolke. Aber die Erfolgsströmung kann schnell abreißen. Das war bei den Wahlen im Osten zu beobachten. In den Universitätsstädten wurden sie bejubelt. Auf dem Land zeigte man den Grünen die kalte, rechte Schulter. Viele haben Angst vor rasanten Veränderungen. Oder können es sich schlicht nicht leisten, wenn Preise für Benzin, Diesel und Heizöl von heute auf morgen durch die Decke gehen. Wie die Grünen diesen Spagat hinbekommen wollen, darauf haben Baerbock und Habeck in Bielefeld keine überzeugenden Antworten gegeben.Die Grünen neigen im Erfolg zur Selbstgefälligkeit. Das ging häufiger schief. Nach Fukushima träumten sie vom Kanzleramt. Dann flossen 2013 bei nur 8,4 Prozent die Tränen. Baerbock und Habeck haben dieses Trauma aufgearbeitet, die Partei zusammengeführt. Dafür wurden sie nun mit traumhaften Ergebnissen belohnt. 2020 könnte grün werden. Etwa im Fe­bruar, wenn sie sich im SPD-Kaminzimmer Hamburg breitmachen wollen. Ist 2021 das Kanzleramt dran?Abwarten. Strukturell ist Deutschland dafür noch lange nicht grün genug. Im Wahlkampf muss die Partei aus ihrer Kuschelecke. Ihre Doppelspitze wird Fans wie Fridays for Future enttäuschen und unbequeme Kompromisse machen müssen.