Stephan Lamby, Dokumentarfilmer und „Spiegel“-Bestsellerautor („Ernstfall“), hat die Ampel-Regierung zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet.

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Ende August ist sein Film über diese Zeit erschienen, den man in der ARD-Mediathek finden kann – und damals sah es so aus, als hätten SPD, Grüne und FDP aus ihren Fehlern gelernt. Heute wissen wir: die Lage für das von Olaf Scholz angeführte Kabinett hat sich durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil, dass einen Strich durch den geplanten Haushalt gemacht hat, noch einmal verschärft. „In Umfragen kommen die Ampel-Parteien inzwischen auf etwa so viele Stimmen wie die CDU/CSU, das ist schon dramatisch“, sagt Lamby. „Das ist die gefährlichste Situation für die neue Regierung, seit es sie gibt.“ Und für Olaf Scholz sowieso: „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts untergräbt sein sorgfältig gepflegtes Image, jemand zu sein, der zwar langweilig wie ein Sparkassendirektor, aber dafür auch genauso seriös ist, und der das Geld zusammenhält. Früher hätte man gesagt: der Kaiser steht jetzt ohne Kleider da.“ Das sei der Ausgangspunkt, von dem Scholz in das Jahr 2024 starte, in dem er sich das verlorengegangene Vertrauen zurückarbeiten müsse: „Und das kann sehr lange dauern.“ Der Vertrauensverlust des Kanzlers fällt dabei ausgerechnet in eine Zeit, in der die außenpolitischen Herausforderungen immer größer werden: „Die Probleme, über die wir im Moment im Zusammenhang mit dem geplatzten Haushalt sprechen, sind relativ banal im Vergleich zu dem, was Deutschland und Europa im kommenden Jahr bevorsteht“, sagt Lamby. Wer Olaf Scholz und seinem Verteidigungsminister Boris Pistorius in den vergangenen Tagen zugehört habe, hätte bemerken müssen, „dass beide Angst vor einer sich verschärfenden militärischen Konfrontation mit Russland haben“, so Lamby. „Deshalb bereiten sie die deutsche Gesellschaft vor, was da auf uns zukommt.“ Russland habe auf Kriegswirtschaft umgestellt und inzwischen 640.000 Soldaten in der Ukraine, das sei eine unglaubliche Zahl: „Putin bereitet sich auf eine ziemliche lange militärische Auseinandersetzung vor, und wir stehen an der Schwelle einer beängstigenden und dramatischen Entwicklung. Ich habe lange nicht mehr so pessimistisch in die Zukunft geschaut, wie jetzt gerade.“ Man müsse sich nur vorstellen, wenn die USA tatsächlich ihre finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine einstellen würden, was sowohl bei einem Sieg Donald Trumps bei der Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 möglich sein könnte als auch bei einer Niederlage: „Man kann nur erahnen, was das finanziell, wirtschaftlich und gesellschaftlich für Deutschland bedeuten würde, das derzeit der zweitgrößte Unterstützer ist.“ Immerhin sei es Scholz in diesem Zusammenhang gelungen, die EU-Länder zu bewegen, den Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zuzustimmen: „Das hat er gut gemacht, das war ein cleverer Schachzug.“ Interessant ist auch, wie der Dokumentarfilmer die Entwicklung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz in diesem Jahr beobachtet hat. „Nach meinem Eindruck hat Friedrich Merz gerade bei der letzten Regierungserklärung von Olaf Scholz überzogen. Wenn er schwere Attacken gegen den Bundeskanzler fährt, beschädigt er nicht nur dessen Ansehen, sondern auch das des Amtes – des Amtes, das er selbst einmal haben will. So etwas wird von den Wählerinnen und Wählern nicht goutiert.“ Seine Strategie, immer aggressiver und zugespitzter zu agieren, sei falsch: „Er müsse sich als Staatsmann geben, als souveränen Gegenwurf zu dem momentan taumelnden Olaf Scholz. Doch das geling ihm nicht, weil es wider seine Natur ist – und das spüren die Deutschen.“