Berlin. Taliban verbieten Frauen in Hilfsorganisationen die Arbeit. Das Entsetzen ist richtig, sollte aber nicht zu falschen Schlüssen führen.

Es gibt Entscheidungen, die können nur falsch sein. Das Taliban-Regime in Afghanistan verbannt Frauen aus dem öffentlichen Leben, zwingt sie unter die Ideologie von Steinzeit-Islamisten. Zugleich leiden Millionen Menschen unter den Folgen von Krieg und Armut. Jetzt verbieten die Taliban Frauen die Arbeit in Hilfsorganisationen – ausgerechnet in einem Beruf, in dem sie das Land so dringend braucht. Sollten Helfer sich das nicht bieten lassen und abziehen? Oder weiterhelfen, egal wie menschenverachtend die Gesetze sind?

Einige Organisationen haben nun entschieden: Wir helfen nicht mehr, solange unsere Mitarbeiterinnen wieder arbeiten dürfen. Mit der Folge, dass mehr Menschen Not leiden. Die persönliche Entscheidung ist nachvollziehbar. Humanitäre Hilfe braucht Haltung. Gerade wenn Helfer in Diktaturen arbeiten, müssen sie im Alltag genug Kompromisse mit Werten wie Freiheit und Gleichberechtigung eingehen, etwa ein Kopftuch tragen oder akzeptieren, wenn nur Jungs in die Schule dürfen.

 Frauen werden im Rahmen ihre Ausbildung zu Polizistinnen an Maschinengewehren geschult. Mit ihrer Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban die Rechte der Frauen massiv eingeschränkt. Mädchenschulen ab der siebten Klasse sind in weiten Teilen des Landes geschlossen und Frauen wurden weitgehend aus dem Arbeitsleben verdrängt.
Frauen werden im Rahmen ihre Ausbildung zu Polizistinnen an Maschinengewehren geschult. Mit ihrer Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban die Rechte der Frauen massiv eingeschränkt. Mädchenschulen ab der siebten Klasse sind in weiten Teilen des Landes geschlossen und Frauen wurden weitgehend aus dem Arbeitsleben verdrängt. © dpa | Oliver Weiken

Es gibt Grenzen für das, was ein Mensch an Demütigung oder Freiheitsentzug ertragen kann. Das gilt für die Afghaninnen und Afghanen. Das gilt aber auch für die Helfenden. Jeder ist frei, diese rote Linie für sich selbst zu ziehen. Und diese Linie müssen die Taliban spüren. Sie müssen sehen: Unsere Repressionen haben Folgen – am Ende auch für die eigenen Leute, die das Regime längst nicht mehr ohne Hilfe von außen am Leben halten kann. Seit mehr als einem Jahr kennen die Taliban vor allem eine Antwort auf ihre Hilflosigkeit: Brutalität.

Afghanistan: Zehntausende Menschen wurden getötet in den Kämpfen

Die Entscheidung des Abzugs von Hilfsorganisationen ist aus diesen Gründen nachvollziehbar – und doch ist die Entscheidung politisch falsch. Seit der Machtübernahme der Taliban ist die humanitäre Lage in Afghanistan noch katastrophaler als zuvor. Mehr als die Hälfte der 40 Millionen Menschen kann sich nicht mehr allein ernähren, knapp zehn Millionen erleben akuten Hunger.

Diese Menschen in Not brauchen Hilfe aus dem Westen. Und der Westen trägt eine Verantwortung. Hals über Kopf haben USA und Deutschland und andere das Land verlassen, nachdem sie jahrzehntelang dort mit Soldatinnen und Soldaten für Frieden sorgen wollten – und das Chaos nie bändigen konnten. Zehntausende Menschen wurden getötet in den Kämpfen zwischen westlicher Allianz und Taliban und Terrorgruppen.

Kommentator und Politik-Redakteur: Christian Unger
Kommentator und Politik-Redakteur: Christian Unger © Reto Klar | Reto Klar

Das Gebot der Humanität kennt keine politische Präferenz

Helfer riskieren ihr Leben, wenn sie in Kriegen Menschen retten. Sie helfen auch Kriminellen und Islamisten. Das Gebot der Humanität kennt keine politische Präferenz. Dieser Grundsatz verdient Respekt. Nun ist die Lage noch kritischer: Die Helfer selbst sind Ziel einer frauenverachtenden Politik, werden in ihrer Arbeit eingeschränkt. Das ist ein Tabubruch. Aber es ist nicht der erste durch die Taliban. Frauen sind schon aus vielen Lebenswelten Afghanistans verbannt. Wer die Frauenrechte zum Maßstab seines Handelns macht, hätte längst abziehen müssen.

Zugleich gilt: Ein Abzug der humanitären Helfer stimmt die Taliban in ihrer Brutalität nicht um. Sie werden ab morgen nicht milde regieren. Sondern Frauen weiter verfolgen. Der politische Druck des Abzugs ist begrenzt. Das müssen die Organisationen erkennen.

Deutschlands Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt, sagte einst SPD-Politiker Peter Struck. Heute muss es heißen: Deutschlands Glaubwürdigkeit wird am Hindukusch verteidigt. Wer jetzt abzieht, verliert die letzte außenpolitische Glaubwürdigkeit.