Berlin. Eine friedliche Koexistenz von Menschen und großen Raubtieren bleibt eine Bilderbuch-Illusion. Es ist Zeit zu akzeptieren: Der Zug ist abgefahren.

Alle wollen zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß, war ein Spruch der 80er-Jahre-Ökobewegung. Man muss ihn abwandeln in: Alle wollen zurück zur Natur, aber keiner will ihr begegnen. Denn wir haben das Naturerlebnis zum Radausflug ins Naherholungsgebiet romantisiert und die gnadenlose Seite der Natur verdrängt. Die Bärenmutter in Trentino, die einen 26-jährigen Jogger tötete, ruft uns wieder in Erinnerung: Ein Menschenleben zählt für ein Raubtier nicht mehr und nicht weniger als das eines Rehs oder eines Hasen.

Sobald Geschöpfe der Natur ein Mini-Comeback schaffen, die nicht Honigbiene, Feldhamster oder Wildblume sind, sondern Wolf, Luchs, Bär oder Wisente, gibt es Kollisionen. Ausgerechnet in dem Bundesland, das wir in Deutschland am meisten mit Natur assoziieren, Bayern, zieht man die drastischsten Konsequenzen: Markus Söder will Abschüsse für Wölfe erleichtern. Der strenge Schutz des Wolfes sei im Freistaat „in der Form nicht mehr angemessen“.

Oliver Stöwing
Oliver Stöwing © Katja Sonnewend | Katja Sonnewend

Wildtiere unter Dauerstress

Da gibt er wieder den Voralpen-Sheriff, kann man sagen. Aber wenigstens heuchelt er nicht: Im dichtbesiedelten Westeuropa ist eine friedliche Koexistenz zwischen Menschen und großen Raubtieren nicht möglich. Es ist sinnvoller, das zu akzeptieren und sich auf den Schutz der Arten zu konzentrieren, die in unserer Zivilisation Nischen besetzen können. Lesen Sie auch: Die ungewisse Zukunft Deutschlands wilder Wisente

Natürlich ist ohnehin nichts an dem Leben des Großwilds. Einst witterten sie vielleicht einmal täglich einen potenziellen Feind. Heute erfassen sie mit ihren Sinnen fast rund um die Uhr die Nähe ihres Todfeindes Mensch. Sie stehen unter Dauerstress. Studien haben ergeben, dass zum Beispiel Rehe ihre ursprüngliche Lebensweise komplett umgestellt haben: Sie sind jetzt nachtaktiv und ziehen sich häufiger in Wälder zurück. Lesen Sie auch: Wölfe breiten sich weiter aus – mehr Nutztierattacken

Hartes Leben, früher Tod

Innerhalb der isolierten Populationen finden sie keine Partner mehr, Inzest schwächt die Tiere. Der Versuch eines Revierwechsels endet oft plattgewalzt auf der Autobahn. Wer es hinübergeschafft hat, hat gute Chancen, von einem Haushund, der Hundestaupe oder einem Wilderer erledigt zu werden - oder aber aus Mangel an Beutetieren zu verhungern.

Nur 50 Prozent der Wölfe wird älter als zwei Jahre, kaum einer älter als acht Jahre. 17 Jahre sind theoretisch möglich. Es ist ein Hundeleben. Um die Schönheit und Einzigartigkeit solcher Tiere auch bei uns zu bewahren, ist es besser, sie in möglichst naturnahen Gehegen zu halten. Sie sind anderer Meinung? Sie werden Sie ändern, wenn Ihnen eine wütende Bärenmutter gegenübersteht.