Berlin. Terroristen oder Klimaaktivisten kamen in Deutschland bereits in Gewahrsam, bevor sie straffällig wurden. Wie wird das gerechtfertigt?

Wer hierzulande eine Straftat begeht, der wird nach seiner Verhaftung von einem Richter verurteilt – und landet unter Umständen im Gefängnis. Das kann in Deutschland allerdings auch Menschen passieren, die noch gar nichts verbrochen haben: "Präventivhaft" oder auch "Unterbindungshaft" heißt diese Form des Gewahrsams, mit der Straftaten verhindert werden sollen, die eigentlich noch nicht justiziabel sind.

Die Debatte um Präventivhaft nahm in den vergangenen Jahren immer wieder an Fahrt auf. Nicht zuletzt, seitdem Deutschland darüber diskutiert, wie die Gesellschaft mit den Klima-Klebern der "Letzten Generation" umgeht. Bei Twitter kursierte zuletzt ein Video der Bewegung, bei der ein Aktivist von Polizeibeamten zuhause abgeholt wurde, obwohl er zu dem Zeitpunkt nichts verbrochen hatte.

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Präventivhaft: So lange können Menschen ohne Straftat in Gewahrsam genommen werden

Doch die Möglichkeit, ohne Straftat hinter Gitter zu kommen, besteht schon länger. Breit diskutiert wurde diese Form des Gewahrsams, nachdem in Deutschland eine erhöhte Gefahr durch islamistischen Terrorismus bestand. Nach den Terroranschlägen 2016 in einer Regionalbahn in Würzburg, in Ansbach und auf dem Berliner Weihnachtsmarkt verschärfte die bayrische Landesregierung öffentlichkeitswirksam das Polizeiaufgabengesetz. Zunächst konnten Menschen unbefristet in Präventivhaft genommen werden, später dann befristet auf zwei Monate.

Damit hat Bayern nach wie vor die strengsten Gesetze, was die Dauer der Präventivhaft angeht. Wie lang diese höchstens angeordnet werden darf, legt das Polizeirecht der einzelnen Bundesländer fest. Derzeit sehen alle anderen Bundesländer eine maximale Inhaftierung ohne vorangegangene Straftat zwischen zwei und 14 Tagen vor.

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Wer kann in Präventivhaft kommen?

Doch wie lässt sich es sich juristisch begründen, eine Strafe für eine nicht begangene Straftat zu verhängen? In den Polizeigesetzen der Länder ist meist von "Gewahrsam" die Rede statt von Haft. Damit wird deutlich, dass durch dieses präventive Eingreifen eine Person nicht bestraft wird, sondern vielmehr daran gehindert wird, eine Straftat zu begehen.

Im Bayrischen Polizeiaufgabengesetz etwa heißt es, dass die Polizei Menschen in Gewahrsam nehmen kann, wenn "das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern." Konkret ist das der Fall, wenn eine Person eine Straftat ankündigt "oder Transparente oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung mit sich führt".

Auch Waffen und "sonstige Gegenstände" können ein Indiz dafür sein, eine Straftat zu begehen. Darüber hinaus – für die Aktivisten der Letzten Generation entscheidend – kann Gewahrsam auch damit begründet werden, wenn bereits in der Vergangenheit vergleichbare Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten vergangen wurden.

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Klage am Bayrischen Gerichtshof scheiterte unlängst

Da es sich um einen mitunter starken Eingriff in die Grundrechte handelt, setzt ein Richter die Dauer der Präventivhaft fest. Erst am Mittwoch urteilte das Bayrische Verfassungsgericht nach einer Klage gegen das Polizeiaufgabengesetz, dass die Dauer des Präventivgewahrsams „unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls von einem unabhängigen Richter festgelegt“ werde.

Es handle sich dabei nicht um einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit. Auch effektiver Rechtsschutz sei dabei gewährleistet. Die Regelungen erlaubten den Präventivgewahrsam in bestimmten Fällen insbesondere nur als „letztes Mittel“, erläuterte das Gericht. (fmg)

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