Berlin. Ein Tempolimit für die deutschen Autobahnen muss her, meint unser Autor. Denn mit Freiheit hat das grenzenloses Rasen wenig gemein.

Der deutsche Mythos glänzt nur noch im Ausland richtig. Wer in den USA von „The Autobahn“ erzählt, blickt in strahlend-neidvolle Augen: breite Rennstrecken für Vatis Ford Mondeo. Kein Limit, keine Grenze.

Ein bisschen peinlich ist es, dass ein Stück Asphalt für Transportmittel zum Kulturgut einer Nation wurde. Aber in Ordnung, Fahren ist noch immer ein Gefühl von Freiheit in einer Welt, in der Krisen in unseren Alltag drängen. Jedenfalls in der Erzählung. In der Realität hat der Autobahn-Mythos längst Risse: Baustellen, Tempolimits in Teilabschnitten und Staus, Staus, Staus. Gefühlt gibt es kaum 20 Kilometer Strecke, auf der eine Fahrerin das Gaspedal bis in die Fußmatte pressen kann.

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Klima, Sicherheit, Verkehrsfluss – die Vorteile des Tempolimits liegen auf der Hand

Wer sich diesem Alltag auf der A7 oder A9 stellt, dem fällt der Abschied vom deutschen Sonderweg ohnehin leicht: Das Land braucht ein Tempolimit. Die Vorteile liegen auf der Hand.

Ein deutscher Mythos – mit Rissen. Hier der Blick auf die Autobahn A44 in Heiligenhaus.
Ein deutscher Mythos – mit Rissen. Hier der Blick auf die Autobahn A44 in Heiligenhaus. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Erstens, mehr Klimaschutz: Einer Studie des Bundesumweltamtes zufolge kann ein Tempolimit auf Autobahnen von 120 und auf Landstraßen auf 80 Stundenkilometern acht Millionen Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr einsparen. Das sind rund fünf Prozent der gesamten Abgasmengen auf deutschen Straßen.

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Zweitens, mehr Sicherheit: Geschwindigkeit und Risiko sind gefährliche Verbündete. Untersuchungen etwa auf der A24 in Brandenburg zeigen, dass ein Tempolimit auf 130 Stundenkilometer die Zahl der Unfalltoten in drei Jahren halbiert hat. Genauso die Zahl der Verletzten. Ähnlich andere Studien.

Tempolimit: Der Verkehr fließt besser, wenn sich die Geschwindigkeiten angleichen

Zu Wahrheit gehört aber auch, dass vor allem Gurtpflicht, Airbag und andere Fahrzeugtechnik große Effekte auf die Sicherheit haben. Und: Eine gut asphaltierte Autobahn ohne Tempolimit ist immer noch sicherer als eine Landstraße mit Schlaglöchern.

Doch: Jeder überlebende Mensch ist es wert, die Freiheit des anderen leicht zu begrenzen. Ein Tempolimit schützt Leben.

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Drittens, weniger Staus. Einige Forschende stellen eine spannende These in den Raum: Der Verkehr fließt besser, wenn sich die Geschwindigkeiten der Teilnehmenden angleichen. Weniger aggressives Überholen, weniger abruptes Bremen, weniger Spurwechsel. Ergo: weniger Staus. Belegen lässt sich die These mit Studien schwer. Und doch klingt sie klug.

Ein Tempolimit für Autobahnen muss her. Frankreich hat es, Österreich, Schweden. Eigentlich jedes Land in unserer Nachbarschaft. Aber jeder Einschnitt braucht Voraussetzungen. Autofahrern fehlt noch immer eine echte Alternative: Bahnfahren – nicht nur in der Stadt – ist zu teuer. Die Züge unpünktlich, das Schienennetz marode, das Personal fehlt zunehmend. Wer ein Tempolimit fordert, muss es ernstmeinen mit einem günstigen und zuverlässigen Bahnverkehr.

Der deutsche Autobahn-Mythos gehört auf den Schrottplatz

Und: Ein Tempolimit verträgt keine unnötige Härte. Wer mit 140 geblitzt wird, sollte keine Unsummen an Bußgeld zahlen, der Staat sollte Gebühren nicht als Haushaltsboni einplanen. Hart bestraft gehören vor allem echte Raser. Wer mit 230 über die Autobahn brettert, muss sich fragen, wie viel ihm Menschenleben bedeuten. Auch sein eigenes. Wer mit 180 über die Landstraße kachelt, sollte eine kleine Führerschein-Pause einlegen. Zum Beispiel ein Jahr lang.

Wir können nicht an dem grenzenlosen Rasen festhalten, weil wir meinen, darüber definiert sich unsere Freiheit. Echte Freiheit ist etwas anderes: in Frieden leben, Bildung genießen, seine Meinung sagen zu dürfen, in alle Welt Reisen zu können. Dann eben mit 130 statt 160. Der Autobahn-Mythos gehört auf den Schrottplatz.

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