Berlin. Die deutsche Wirtschaft hängt bei der Energiewende besonders stark von China ab, sagt ein Wirtschaftsexperte. Aber es gibt Hoffnung.

Chinas Wirtschaft befinde sich noch immer in der „Corona-Sklerose“, bilanziert der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Das spüren auch die deutschen Unternehmen. Vor allem bei der Energiewende, der Mobilitätswende und bei der Digitalisierung sei die Abhängigkeit von der Volksrepublik groß.

Herr Treier, wie sehr hängt die chinesische Wirtschaft in den Seilen?

Volker Treier: Die chinesische Wirtschaft hat noch nicht den Aufbruch aus der Corona-Sklerose geschafft. Bildlich gesprochen: Der Körperteil ist eigentlich wieder funktionsfähig, aber der Gips hängt noch dran. Das hat vor allem zwei Ursachen. Die Kaufzurückhaltung der Chinesinnen und Chinesen während der erratischen Lockdown-Maßnahmen hält im Prinzip immer noch an. Das spüren auch die Anbieter deutscher Produkte. Hinzu kommt, dass die Blase des Immobilien-Booms irgendwann zu platzen droht. Auch das vergrößert die Sparneigung vieler Chinesen. Wenn der Konsum ausbleibt, wird auch nicht investiert.

Wie stark trifft der chinesische Konjunktur-Dämpfer die deutsche Wirtschaft?

Treier: Die deutsche Volkswirtschaft ist aus mehreren Gründen in keinem guten Zustand. Wir bräuchten dringend eine Modernisierung in vielen Bereichen. Es geht zum Beispiel darum, wie wir Künstliche Intelligenz (KI) in die Produktion einbeziehen. Oder, wie wir die Mobilität der Zukunft nach dem Wegfall der Verbrennermotoren gestalten. Hinzu kommt eine weltwirtschaftliche Schwäche, deren Hauptgrund der chinesische Konjunktur-Einbruch ist. Dieser trifft Deutschland wegen seiner dichten wirtschaftlichen Verflechtung mit der Volksrepublik in besonderem Maße. So sind die deutschen Exporte nach China im ersten Halbjahr 2023 um 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgegangen. Bei den Importen betrug das Minus sogar 16,6 Prozent.

Volker Treier ist der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).
Volker Treier ist der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). © dpa | Rainer Jensen

Welche Branchen in Deutschland leiden besonders unter Chinas Schwäche?

Treier: Die chemische Industrie erwischt es doppelt: Sie wird durch den China-Einbruch, aber auch durch die gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten getroffen. Die Automobilbranche bekommt die mangelnde Nachfrage aus China ebenfalls zu spüren. Das Gleiche gilt für den Maschinenbau, obgleich der ein bisschen resistenter ist.

Halten sich deutsche Firmen auch bei Direktinvestitionen in China zurück?

Treier: Ja, das ist so. Zwar gibt es nach wie vor prominente Großinvestitionen wie etwa im Fall der BASF. Aber der deutsche Mittelstand investiert heute weniger in China. In der Corona-Zeit wirkten sich zunächst die Reisesperren als Investitionsbremse aus, heute ist es die Wachstumsschwäche der chinesischen Wirtschaft.

Wie abhängig ist die deutsche Wirtschaft von China?

Treier: In wichtigen Bereichen wie der Energiewende, der Mobilitätswende oder der Digitalisierung der Volkswirtschaft ist die Abhängigkeit von China besonders groß – vor allem, wenn die Lieferung kurzfristig unterbrochen würde. In diesen Sektoren brauchen wir Importe aus China, die wir nicht schnell ersetzen können. Deutschland benötigt Rohstoffe wie Seltene Erden, Silizium oder Titan – und es benötigt weiterverarbeitete Rohstoffe wie Kobalt- oder Lithium-Produkte. Die Top-Anbieter der kritischen Rohstoffe beziehungsweise der weiterverarbeiteten Produkte kommen häufig aus China.

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Lässt sich beziffern, wie viele Jobs in Deutschland gefährdet wären, wenn die chinesische Wirtschaft nicht aus der Krise kommt?

Treier: Nein, das ist nicht möglich. Man kann nur sagen: Insgesamt hängen in Deutschland knapp eine Million Arbeitsplätze am Export nach China.

Droht China ein Japan-Szenario mit Überalterung, Konsumschwäche und Deflation?

Treier: Die Überalterung ist ein Problem – auch wegen der lange Zeit staatlich verordneten Ein-Kind-Politik. Aber China hat trotz aller Schwierigkeiten noch einen beträchtlichen Aufholprozess vor sich. Selbst wenn die Volksrepublik verstärkt im eigenen Land produziert, wird sie auf ausländische Technologie angewiesen sein. Die nächsten zwei Jahrzehnte lassen ein schwächeres, aber signifikantes Wachstum von zwei bis fünf Prozent erwarten. Es wird auch in Zukunft genügend Potenzial für wirtschaftliche Expansion geben.

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