In Israel werden zahlreiche Menschen vermisst. Familien mit deutschen Wurzeln richten einen dramatischen Appell an Annalena Baerbock.

Die Anspannung und die Angst der neun Frauen und Männer an den Tischen in dem kleinen Konferenzraum ist schmerzlich spürbar. Sie versuchen die Fassung zu wahren, weil sie vor der Presse sitzen, nicht allen gelingt es. Ihre Angehörigen sind seit dem vergangenen Wochenende in der Gewalt der Hamas-Terroristen und sie haben keine Informationen darüber, wie es den Entführten geht. Kurz vor der Pressekonferenz haben sich mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock getroffen. Sie erhoffen sich Hilfe von Deutschland. Ihre Angehörigen sind deutsche Staatsbürger. Insgesamt fünfzehn Deutsche sollen sich in der Hand der Terroristen befinden.

Yoni Asher hält zwei Bilder hoch. Darauf sind seine Töchter zu sehen. Raz ist vier Jahre alt. Aviv ist zwei. „Meine gesamte Familie ist entführt worden“, ruft er anklagend. Seine Frau Doron war an dem verhängnisvollen Morgen am vergangenen Samstag zu Besuch bei ihren Eltern im Kibbuz Nir Oz. Als die Hamas-Terroristen in Nir Oz eindringen, ruft Doron ihren Mann an, sie flüstert, berichtet von Schüssen. Dann bricht die Verbindung ab. Die Eindringlinge entführen seine Schwiegereltern, seine Frau, seine Töchter. „Schaut euch das an, das sind meine Babys“, schreit Yoni Asher verzweifelt. Er sagt auch: „Wir haben ein kritisches Zeitfenster.“

Israel: Quälende Unwissenheit umtreibt die Familien der Vermissten

Die Zeit ist für alle auf dem Podium ein entscheidender Faktor: „Wir haben Babys, die Medikamente brauchen, wir haben ältere Menschen, die ohne ihre Medizin nicht überleben werden“, sagt Ricarda Louk. Ihre Tochter Shani, 22, war am Samstagmorgen auf dem Techno-Festival in der Nähe des Gazastreifens, das die Terroristen in ein Blutbad verwandelten. Ein Video von Shani ging um die Welt. Es zeigt die junge Frau gefesselt, ohnmächtig, in Unterwäsche auf der Ladefläche eines Pickups, über ihr kniend einer der Terroristen. „Wir wissen nur, dass sie am Kopf verletzt und jetzt in einem Krankenhaus ist“, berichtet ihre Mutter.

Es vor allem die quälende Unwissenheit, die die Angehörigen umtreibt. Sie wissen nicht, wo ihre Lieben sind, wie es ihnen geht, ob sie überhaupt noch am Leben sind. „Jede Nachricht, auch die allerschlimmste, wäre immerhin eine Nachricht“, sagt Chanan Cohen. Seine Eltern haben sich 1933 aus Deutschland ins heute Israel in Sicherheit gebracht, er selbst hat zehn Jahre in Deutschland gearbeitet. Seine krebskranke Schwester Margalit (79) ist unter den Entführten, auch sein Schwager Gadi Mozes (80). „Ich glaube, das deutsche Volk hat die Kraft, uns zu helfen“, hofft der alte Mann.

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Ein israelischer Soldat inspiziert ein zerstörtes Haus im Kibbutz Beeri. Rettungskräfte hatten von dort grausame Bilder veröffentlicht.
Ein israelischer Soldat inspiziert ein zerstörtes Haus im Kibbutz Beeri. Rettungskräfte hatten von dort grausame Bilder veröffentlicht. © Ilia Yefimovich/dpa | Unbekannt

Terror gegen Israel: Angehörige fordern Deutschland zum Handeln auf

Das Gespräch mit Annalena Baerbock sei gut verlaufen, sagen sie. „Es war gut zu sehen, dass sie die Situation wirklich ernst nehmen“, sagt Ricarda Louk. Sie glaubt: Die Deutschen bemühten sich wirklich, Lösungen zu finden. Die Angehörigen verlangen von der deutschen Regierung, dass sie alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um an Informationen über die Verschleppten zu kommen und sie gesund nach Hause zu bringen. Sie hoffen auch darauf, dass die Hamas ihre Lieben verschont, weil sie deutsche Staatsbürger sind. Deutschland sei ja nicht im Krieg mit der Hamas. Zudem sei Deutschland in der arabischen Welt hoch angesehen.

Möglicherweise spielt auch die Erinnerung an Gilad Schalit eine Rolle. Der israelische Soldat war im Juni 2006 von der Hamas entführt und nach fünf Jahren Geiselhaft im Austausch gegen 1027 palästinensische Gefangene freigelassen worden. An den zähen, aber am Ende erfolgreichen Verhandlungen war auch der deutsche Bundesnachrichtendienst beteiligt.