Moskau. Ihr stiller Protest gegen den Krieg in der Ukraine endet für eine junge Russin vor Gericht. Doch es dürfte noch viel schlimmer kommen.

Ganz zu Beginn der Kämpfe in der Ukraine, im Frühjahr des vergangenen Jahres, hatte die Künstlerin Alexandra Skotschilenko eine Idee. Die heute 33-Jährige dachte sich: Was machen die meisten Menschen in Russland? Sie schauen Staatsfernsehen – und gehen zum Einkaufen in den Supermarkt. Dorthin ging die Künstlerin auch. Sie tauschte die Preisschilder in den Regalen aus gegen Zettel, auf denen Informationen über die Opfer des Krieges in der Ukraine zu lesen waren. „Rekordinflation durch Militäreinsatz“ stand da. Oder: „Stoppt den Krieg!“

Für dieses „Vergehen“ muss die junge Frau jetzt wahrscheinlich acht Jahre ins Straflager. Diese Strafe hat die Staatsanwaltschaft im laufenden Prozess gegen die Aktivistin beantragt. Der Vorwurf: Verbreitung „absichtlich falscher Informationen“ über das Vorgehen der russischen Armee in der Ukraine. „Ich wollte den Krieg einfach beenden, das war meine Motivation“, sagte die Angeklagte vor Gericht. Es sei nicht Hass, sondern Mitgefühl gewesen. Der nächste Prozesstag ist für den kommenden Montag angesetzt. Womöglich wird dann bereits das Urteil gesprochen werden. Die Höchststrafe beträgt zehn Jahre Haft.

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Bereits kurz nach der Protestaktion war Alexandra Skotschilenko verhaftet worden. Ein Supermarktkunde hatte sie bei der Polizei denunziert. Seitdem sitzt sie in Untersuchungshaft. Für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist sie eine gewaltlose politische Gefangene. „Sie ist nur deshalb inhaftiert, weil sie friedlich ihren Widerstand gegen den Krieg zum Ausdruck gebracht hat.“ Amnesty hat eine Petition gestartet, in der die bedingungslose Freilassung der jungen Frau gefordert wird.

Skotschilenko leidet unter Herzfehler – Sorge um ihr Leben

Skotschilenko ist in Sankt Petersburg geboren, studierte Regie an der Theaterakademie und wechselte später zum Studium der Anthropologie an die Uni Sankt Petersburg. Sie schloss mit Auszeichnung ab. Bekannt wurde sie durch ihr autobiografisch geprägtes Comic-Buch „A Book about Depression“, das 2014 erschienen ist.

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    Gesundheitlich gehe es ihr schlecht, sagt ihre Kardiologin Darja Chaschtschewskaja, die Skotschilenko in der Untersuchungshaftanstalt untersucht hat. Sie habe einen Herzfehler, ihr Leben sei in Gefahr, ein Herzstillstand drohe, berichtet das Online-Medium MR7.ru. Seit ihrer Verhaftung veröffentlichen Angehörige und Freunde auf Instagram regelmäßig Details zu Skotschilenkos Zustand. In einer Sprachnachricht an die BR-Hörfunksendung „Zündfunk“ erzählte Sonja Subbotina, ihre Lebenspartnerin, wie die beiden Kontakt halten: „Wir können uns nur Briefe schicken. Darin schreiben wir einander, dass wir füreinander da sind und erzählen uns, was wir erlebt haben.“

    Skotschilenko: „Wir werden es schaffen und zusammen sein“

    Besuche oder Telefonate seien nicht erlaubt. „Das machen sie, um Alexandra emotional unter Druck zu setzen“, sagt Subbotina. Als ihre Partnerin eine Krebs-Diagnose erhielt, schrieb Alexandra Skotschilenko aus dem Gefängnis: „Sonja wird operiert, und ich müsste zu ihr ins Krankenhaus kommen. All das ist unmöglich. Ich habe Angst um einen geliebten Menschen.“ Zugleich ist sich die junge Frau aber sicher: „Wir werden gewinnen, wir werden es schaffen. Wir werden zusammen sein.“

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    Bislang schaut es nicht danach aus. Die beiden Frauen werden wohl viele weitere Jahre voneinander getrennt sein. Wegen einer kleinen, aber mutigen Protestaktion im Supermarkt gegen den Krieg in der Ukraine.

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