Berlin. Sind Senioren eine Gefahr im Straßenverkehr? Der Gemeindebund will jetzt mit einem neuen Angebot eine Alternative zum Auto schaffen.

Der Städte- und Gemeindebund hat sich dafür ausgesprochen, Senioren ein kostenloses Deutschlandticket zur Verfügung zu stellen, wenn sie freiwillig ihren Führerschein abgeben. „Wenn Kommunen älteren Menschen anbieten, bei Abgabe ihres Führerscheins den Öffentlichen Nahverkehr unentgeltlich nutzen zu können, ist das eine sinnvolle Aktion“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dieser Redaktion. „Ein kostenloses Deutschlandticket für eine gewisse Zeit erleichtert insbesondere den älteren Personen, auf das Auto zu verzichten.“ Als Voraussetzung nannte Landsberg ein ausreichendes ÖPNV-Angebot.

Hintergrund sind Pläne der EU-Kommission, die Regeln für Senioren am Steuer zu verschärfen. Der Entwurf einer neuen europäischen Verkehrsrichtlinie sieht vor, dass Autofahrerinnen und Autofahrer ab einem Alter von 70 Jahren alle fünf Jahre den Führerschein auffrischen müssen. Dabei soll auch ihr Gesundheitszustand durch eine verpflichtende ärztliche Untersuchung oder durch eine Selbsteinschätzung abgefragt werden. Nach den Plänen der Kommission sollen die EU-Mitgliedsstaaten selbst entscheiden können, welche der beiden Varianten bei ihnen gilt. Die Verkehrsrichtlinie soll dazu beitragen, die Zahl der Verkehrstoten bis 2050 auf null zu bringen.

Senioren: Städtetag gegen verpflichtende Fahrtauglichkeitstests

Die EU-Pläne lehnt Landsberg strikt ab. „Eine generelle Überprüfung der Fahrtüchtigkeit ab einem bestimmten Alter halten wir nicht für zielführend. Die psychischen und physischen Fähigkeiten beim Autofahren können nicht allein an einer Altersgrenze festgemacht werden“, sagte er. Das zeige auch die Unfallstatistik, wonach deutlich mehr Unfälle von jüngeren als von älteren Fahrzeugführern verursacht würden.

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Von jedem Einzelnen, seinen Angehörigen und auch von den Hausärzten könne erwartet werden, dass sie „bei berechtigtem Zweifel an der Fahrtüchtigkeit dies entsprechend kommunizieren und die Personen dann auf das Autofahren verzichten“, betonte Landsberg. Auch im Verkehrsbereich sei mehr Eigenverantwortung geboten.

Führerschein gegen Deutschlandticket: Mehrere Kommunen bieten den Tausch an

Zuvor hatte sich bereits Bundesverkehrsminister Volker Wissing gegen schärfere Regeln für ältere Verkehrsteilnehmer ausgesprochen. „Ich will keine verpflichtenden Tauglichkeitsprüfungen für Autofahrer über 70, und ich bin zuversichtlich, dass sich dafür in der EU auch keine Mehrheit finden wird“, sagte der FDP-Politiker dieser Redaktion. Er sei dagegen, dass „der Einzelne immer mehr zum Objekt gemacht wird, sich Zwangsuntersuchungen unterziehen und nach Vorschriftskatalog seinen Alltag gestalten muss“, erklärte Wissing. Das mache „unsere Gesellschaft unmenschlicher“. Zahlen der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zeigen jedoch, dass Senioren bezogen auf die Fahrleistung eine ähnlich hohes Unfallrisiko haben wie 18- bis 20-jährige Fahranfänger.

Eine Tauschaktion Führerschein gegen Deutschlandticket bieten inzwischen mehrere Kommunen in Deutschland an, darunter zum Beispiel Bonn, Dortmund, Leverkusen und Lübek. Nicht immer ist das Tauschangebot an eine Altersgrenze geknüpft. Unterschiede gibt es auch in der Frage, für wie lange Menschen, die freiwillig ihre Fahrlizenz abgeben, ein ÖPNV-Ticket erhalten: In Dortmund sind es derzeit zwei Monate Deutschlandticket, in Bonn sechs und in Lübeck sogar ein Jahr.

Große Nachfrage nach dem Tauschangebot in Lübeck

Um den Abschied vom zu versüßen, hat die Hansestadt in diesem Jahr für die Nahverkehrsabos bereits 270.000 Euro aus Haushaltsmitteln gezahlt, hieß es auf Anfrage. Ursprünglich hatte man für dieses Jahr lediglich mit 500 ausgegebenen Deutschlandtickets gerichtet. Inzwischen hat die Stadt das Angebot auf 1000 Tickets aufgestockt. 900 davon seien bislang in Anspruch genommen worden.

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Bei Start des Projekts im Juli 2022 hatte das Rathaus noch konservativer kalkuliert und ursprünglich damit gerechnet, dass ein Kontingent von 500 Deutschlandtickets für drei Jahre reichen würde. Doch bereits nach vier Monaten waren alle Tickets vergriffen. Einer Auswertung der Stadt zufolge hatten damals vor allem Menschen zwischen 81 und 90 Jahren ihrer Fahrerlaubnis eingetauscht. Lediglich fünf Personen zwischen 35 und 60 Jahren nutzten im Pilot-Zeitraum das Angebot, so die Lübecker Verwaltung.

Führerschein gegen Nahverkehrsabo: Alte Bundeshauptstadt Bonn ist Vorreiter

Den Verzicht auf das eigene Auto hatten die Tauschwilligen jedoch bereits zuvor größtenteils umgesetzt: „Aus Gesprächen mit den Teilnehmer:innen der Aktion ging hervor, dass ein Großteil der Personen bereits seit Jahren keinen Gebrauch mehr von ihrer Fahrerlaubnis gemacht haben und bereits seit mehreren Jahren kein Auto mehr fahren“, hieß es. Lübeck hat nun auch erhoben, wie viel Aktions-Teilnehmer nach Ablauf des kostenlosen Deutschlandtickets dem ÖPNV treu bleiben: Nach Angaben der Stadt schließt jeder Vierte danach ein reguläres Abo ab.

Vorreiter des Tauschgeschäfts Fahrlizenz gegen ÖPNV-Abo ist Bonn. In der alten Bundeshauptstadt besteht ein solches Angebot bereits seit 1983. Dort erhalten Senioren ab dem 60. Lebensjahr bei Abgabe des Führerscheins für ein halbes Jahr das lokale Ticket für Bus und Bahn – und jetzt eben das Deutschlandticket. „Monatlich nehmen etwa 10 bis 15 Personen das Angebot in Anspruch“, sagte eine Sprecherin.

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Führerschein-Tausch: Grünen-Politiker fordert Klarheit über Zukunft des Deutschlandtickets

Angebote zu machen, um Menschen zum Verzicht auf das eigene Auto zu bewegen, wurde auch von Politikern grundsätzlich begrüßt. Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Stefan Gelbhaar, sagte dieser Redaktion, mehr Menschen für Bus und Bahn zu gewinnen ist immer richtig. „Auch älteren Menschen müssen dazu gezielte Angebote gemacht werden. Die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen und das Angebot der Öffentlichen bekannt zu machen, das ist auf jeden Fall ein guter Gedanke. Auch hierfür wäre eine Klarheit über die Zukunft des Deutschlandtickets wichtig“, so Gelbhaar.

Zuletzt hatten sich Bund und Länder zwar darauf verständig, dass es das Deutschlandticket auch weiterhin geben wird. Die Finanzierung ist allerdings nicht in allen Punkten klar. Denkbar ist auch, den Preis für Abonnenten zu erhöhen. Derzeit kostet das deutschlandweit gültige Nahverkehrsticket 49 Euro im Monat.