Berlin. Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich können normalerweise sehr produktiv sein. Der jüngste ist es nicht – im Gegenteil.

Vor ein paar Monaten haben sie sich noch beim Fischbrötchen-Essen ablichten lassen. An einer Imbissbude im sonnigen Hamburg, gemeinsam mit den Ehefrauen. Das war am Rande einer deutsch-französischen Kabinettsklausur. Die Szene sollte zeigen, wie vertraut sich die beiden Staatslenker sind. Und wie locker es mitunter zugeht im Verhältnis ihrer Länder.

Doch jetzt das: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eine Debatte über den Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine losgetreten und damit die Beziehungen zu Deutschland auf die Probe gestellt. Es gebe keinen Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu entsenden, sagte Macron nach einer Ukraine-Konferenz Anfang der Woche in Paris. „Aber in der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden.“ Bundeskanzler Olaf Scholz widersprach umgehend: Es sei Konsens, dass es keine Bodentruppen in der Ukraine geben werde, die europäische oder Nato-Staaten dorthin schicken. „Das gilt.“

Politik-Korrespondent Thorsten Knuf
Politik-Korrespondent Thorsten Knuf © Funke Foto Services | Reto Klar

Ein deutscher Kanzler maßregelt einen französischen Staatspräsidenten: Das ist in jeder Hinsicht bemerkenswert. In Berlin sind sie in Rage angesichts der Äußerungen Macrons. Eine mögliche Eskalation des Krieges soll unbedingt vermieden werden. In Paris wiederum verstehen sie nicht, warum der Westen in der Auseinandersetzung mit Russland das eigene Drohpotenzial reduziert. Der russische Machthaber Wladimir Putin dürfte zufrieden sein: Ein deutsch-französischer Streit ist ganz nach seinem Geschmack.

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Der Vorgang wirft ein Schlaglicht auf die Beziehungen zwischen den beiden wichtigsten EU-Staaten. Die sind mal wieder kompliziert, nicht nur in Bezug auf die Unterstützung der . Seit geraumer Zeit gibt es diverse ungelöste Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich, etwa bei gemeinsamen Rüstungsprojekten oder mit Blick auf die europäische Handelspolitik.

Hinzu kommen grundlegende Meinungsverschiedenheiten. Das gilt etwa hinsichtlich der deutschen Energiewende und der französischen Atomkraft. In Paris werden sie auch nie verstehen, warum die Deutschen lieber ihre Infrastruktur verrotten lassen, als neue Schulden zu machen. In Berlin wiederum argwöhnen sie, dass die Franzosen mit vollen Händen Geld ausgeben, das sie nicht haben. Der Umstand, dass Scholz und Macron eher ein geschäftsmäßiges Verhältnis zueinander pflegen und sich jeder für den Klügsten hält, dürfte die Dinge zusätzlich erschweren.

Nun ist es ja eigentlich so, dass Meinungsverschiedenheiten seit jeher nicht die Bremse, sondern der Antrieb des deutsch-französischen Tandems sind. In beiden Ländern sieht man die Welt mit anderen Augen. Aber weil von beiden das Wohl und Wehe der Europäischen Union abhängt, müssen sie sich immer wieder zusammenraufen. Wenn dann aber gemeinsame Positionen gefunden sind, ist meistens auch der Weg beschrieben, den die übrigen europäischen Staaten mitgehen können. Das ist jetzt so, aber so war es auch vor 20, 30 oder 50 Jahren. Man sollte sich das immer vor Augen halten, wenn es mal wieder hoch hergeht im deutsch-französischen Universum.

Die Sache ist nur, dass sich der Westen gerade in einer Situation befindet, in der er auf deutsch-französische Selbstfindungsprozesse gut verzichten kann. Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die europäische Friedensordnung ist jetzt nicht die Zeit, strategische Differenzen bei diesem Thema öffentlich zu diskutieren. Wenn Scholz und Macron sich auf offener Bühne in Sachen Ukraine zoffen, schwächt das Europa und stärkt das Putin. So einfach ist das. Und deshalb sollte man das unterlassen.

Russland-Reportagen von Jan Jessen