Erfurt. Thüringer Spitzenpolitiker unterschiedlicher Parteien sprechen vor 400 Zuhörern offen über Politikpannen, Fehler und was sie daraus gelernt haben.

So hat man Thüringer Spitzenpolitiker noch nicht erlebt. Nicht so offen mit und über sich selbst und nicht so respektvoll im Umgang miteinander. Die Grüne Landtagsvizepräsidentin Madeleine Henfling wird zu fortgeschrittener Stunde sogar voller Verwunderung darüber sein, wie ihre Politikkollegen und sie an diesem Abend im mit 400 Zuhörern vollbesetzten Hörsaal der Erfurter Universität über politische Fehleinschätzungen und Fehler, Naivität und manchmal auch Überheblichkeit sprechen.

„Wir schaffen das ja sonst nicht einmal in unseren geschützten Räumen, weil es als Schwäche wahrgenommen wird, weil immer die Gefahr besteht, dass der politische Gegner, der auch der Koalitionspartner sein kann, es gegen einen verwendet“, sagte Henfling. Weil Politik eben manchmal auch ein Drecksgeschäft oder einfach eine beschissene Konkurrenzshow sei.

Madeleine Henfling (Bündnis 90/Die Grünen)
Madeleine Henfling (Bündnis 90/Die Grünen) © Funke Medien Thüringen | Marco Schmidt

Ausgelöst hat das Geständnis die erste Fuckup-Night für Demokratie in Thüringen. Präsentiert wurde der Abend von der Thüringer Allgemeine und vom Lehrbereich für empirische Kommunikationsforschung der Universität. Politiker reden über ihr Scheitern und helfen so anderen, daraus zu lernen. Für Politikberater Martin Fuchs, der das bei der Startup-Szene abgeguckte und von der Hertie-Stiftung unterstützte Konzept maßgeblich erdacht hat, war es bundesweit gesehen die zehnte Auflage. Doch noch nie sei eine Runde so hochkarätig mit den Spitzenpolitikern eines Landes besetzt gewesen, schwärmte der Hamburger mit Thüringer Wurzeln zu Beginn.

Wie Henfling waren Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken, Innenminister Georg Maier von der SPD, der CDU-Vorsitzende Mario Voigt und FDP-Generalsekretär Robert-Martin Montag mit von der Partie. Vereinbart war, dass sie im geschützten Raum offen sprechen konnten – das soll an dieser Stelle respektiert werden.

Manche Fehler schmerzen noch lange

Deshalb nur so viel: Viel offener als an diesem Abend geht es kaum. Es gibt Fehler, über die kann man hinterher lachen. Bei anderen trauert man der vergebenen Chance nach, wieder andere schmerzen lange. Politische Fehler haben nicht selten Konsequenzen – für die, sie machen und jene, die die Folgen zu spüren bekommen.

Mehrfach kam in den zehnminütigen Statements die Regierungskrise in Thüringen von 2020 zur Sprache, als sich Thomas Kemmerich (FDP) mit den Stimmen der AfD kurzzeitig ins Amt des Ministerpräsidenten heben ließ. Die Fehlerperspektive war unterschiedlich, aber gleichermaßen emotional. Robert-Martin Montag sprach über den Moment, als sein Parteichef die MP-Wahl annahm und er nicht wusste, dass man die Sitzung auch für einen Moment des Nachdenkens hätte unterbrechen können.

FDP-Generalsekretär Robert-Martin Montag.
FDP-Generalsekretär Robert-Martin Montag. © Funke Medien Thüringen | Marco Schmidt

Mario Voigt und Bodo Ramelow beschäftigten die Minderheitenregierung und die verhinderte Neuwahl. Letztere empfand Voigt als persönliche Niederlage. Ramelow bewegte die Ergriffenheit des CDU-Mannes. Er selbst sprach von einem persönlichen Drama. Die Minderheitensituation bringe alle an die Grenzen dessen, was man sich antun kann. Am Ende war man sich beim Fuckup-Bekennen parteiübergreifend einig, dass es hätte anders laufen können und müssen.

Mario Voigt (CDU)
Mario Voigt (CDU) © Funke Medien Thüringen | Marco Schmidt

Manche Fehler kannte man bereits, wie die Candy Crush- und Merkelchen-Affäre um Bodo Ramelow. Andere sind eigentlich keine Fehler wie die Annahme von Madeleine Henfling, dass eine Mutter mit Kind im Landtag kein Problem sein sollte – was bei ihr seinerzeit allerdings zum Rauswurf aus dem Plenarsaal führte. Georg Maier schließlich berichtete von heftigen Erfahrungen und Misserfolgen bei der Bekämpfung von Rechtsrock-Konzerten und wie er letztlich daraus gelernt hat.

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke)
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) © Funke Medien Thüringen | Marco Schmidt

Ein Abend der Offenbarungen und Bekenntnisse

Es war ein Abend der Offenbarungen, der Bekenntnisse und Geständnisse. Warum ist es so schwer für Politiker, Fehler einzugestehen? Weil im digitalen Zeitalter nichts vergessen wird, weil alles immer wieder hochkommt, weil überall jemand darauf lauert, daraus medial oder politisch Kapital zu schlagen. Weil in der Politik immer Bauernopfer gesucht würden, weil einer Schuld sein müsse.

Wer Fehler eingestehe, handele gegen die Erwartung, dass Politiker immer richtig entscheiden und die Lösung kennen. Die besten Fehler seien die, die niemand bemerkt. Die Angst vor Fehlern kann politisches Handeln lähmen. Äußerungen oder Posts in sozialen Netzwerken würden abgewogen und gegebenenfalls glattgeschliffen, um nicht anzuecken oder einen Shitstorm auszulösen.

Anonyme Beleidigungen in sozialen Netzwerken nerven

Anonyme Beleidigungen nervten, oder wenn Leute unter Pseudonym Scheiß erzählen würden, ohne die Chuzpe zu haben, es den Adressaten offen ins Gesicht zu sagen. Der Druck sei enorm, jeder Tag könne der Letzte im Amt sein, sagte Innenminister Georg Maier, der seinen Posten immerhin seit sechseinhalb Jahren innehat. Von seinen Kollegen in der Innenministerkonferenz seien einige schon nicht mehr dabei, weil sie einen Fehler gemacht hätten. Da sei es gut, hin und wieder aus der Blase herauszutreten und sich der Wahrnehmung anderer zu stellen.

Georg Maier am Mikrofon.
Georg Maier am Mikrofon. © Funke Medien Thüringen | Marco Schmidt

Und trotzdem schaffe man es im demokratischen Diskurs, gemeinsam Gesetze zu verabschieden, darunter auch welche, die von der politischen Konkurrenz erarbeitet und vorgelegt werden, sagte FDP-Mann Montag. Die anderen respektieren, auch mit ihren Fehlern, ihre politischen Leistungen anerkennen und ihnen Erfolge gönnen – das sind einige der Lösungsansätze für eine bessere Fehlerkultur, die von der bemerkenswerten Runde ausgehen.

Rund 400 Gäste kamen zur politischen Fuckup-Night.
Rund 400 Gäste kamen zur politischen Fuckup-Night. © Funke Medien Thüringen | Marco Schmidt