Kiew. Täuschend echt aussehende Panzer und Artillerie-Systeme: Damit provozieren die Ukrainer ihre Feinde – und schonen eigene Ressourcen.

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine bringt Kriegsstrategen auf ganz neue Ideen. Zum einen handelt es sich um den ersten großen Drohnenkrieg. Aber noch etwas anderes ist neu: Täuschend echt aussehende Waffenattrappen erleben ein neues Hoch. Vor allem die Ukrainer haben hier einen großen Schritt nach vorn gemacht.

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    Hölzerne Nachbildungen von US-HIMARS-Raketenwerfern machten schon im August 2022 Schlagzeilen: Damals beschoss die russische Armee systematisch solche Fake-Raketenwerfer. Das HIMARS-System war erst kurz zuvor an die Ukraine geliefert worden und hatte sofort für große Probleme in der russischen Kriegslogistik gesorgt. Nahezu jeden Tag berichtete das russische Verteidigungsministerium von zerstörten HIMARS-Systemen – doch der Verdacht liegt nahe, dass es sich nicht um echte handelte, sondern um Attrappen. Denn den ersten bestätigten Verlust eines HIMARS gab es erst eineinhalb Jahre später. Die russische Armee hatte offenbar einem Irrtum aufgesessen – und massiv eigenes Material verschwendet.

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    Wie die „Washington Post“ damals berichtete, wurden allein in der ersten Woche des Einsatzes von Fake-HIMARS mindestens zehn russische Marschflugkörper des Typs Kalibr verschossen. Kosten nach gängiger Experten-Meinung: nicht weniger als eine Million US-Dollar pro Stück. Wie das Online-Portal „Ukrajinska Prawda“ berichtete, hat ein großes ukrainisches Unternehmen noch vor der HIMARS-Lieferung durch die USA eine exakte Kopie des Mehrfachraketenwerfers erstellt. „Äußerlich gab es bis ins kleinste Detail keine Unterschiede zum Original“, sagte ein Insider. „Während der Fahrt konnte man nur am Sound der Gangwechsel erkennen, dass es sich um einen umgebauten Lkw handelt.“

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    Ukraine-Krieg: Soldaten benennen größten Nachteil der Attrappen

    Der Fake-HIMARS dient vor allem als Lockvogel für feindliche Raketen und Marschflugkörper. „Es gibt aber auch eine andere Funktion“, schreibt „Ukrajinska Prawda“. Fachleute fahren demnach in einem Auto neben dem Modell her – und versuchen herauszufinden, wer Informationen über die Bewegungen von HIMARS an die Russen weitergeben könnte. So bot die Nachbildung des Mehrfachraketenwerfers auch die Möglichkeit, Verräter zu identifizieren – sowohl beim Militär als auch bei der örtlichen Bevölkerung.

    Der Mehrfachraketenwerfer ist vielleicht das spektakuärste Beispiel. Tatsächlich fing aber die Geschichte der Waffenattrappen in diesem Krieg nicht mit HIMARS an, sondern mit der ukrainischen Panzerablenkwaffe Stugna. Deren Fake-Modelle wurden kurz nach der russischen Invasion von Freiwilligen aus Metall, Holz sowie aus Abflussrohren aus Kunststoff gebaut. „Die Soldaten sagen, das Hauptproblem unserer Modelle sei die Tatsache, dass sie nicht schießen können. Alles andere sei eins zu eins zum Original“, betont Mychajlo Roman, einer der Entwickler. Die ersten Modelle kosteten umgerechnet knapp 100 Euro. Die heutige Variante kostet lediglich um die 30 Euro. Der Preis eines gegen einen Fake-Stugna verwendeten Munitionsgeschosses: etwa 1000 US-Dollar.

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    Heutzutage sind es einerseits Freiwillige wie Mychajlo Roman, die auch andere Projekte wie täuschend echt aussehende Haubitzen vorangetrieben haben. Aber auch große Firmen wie der ukrainische Stahlkonzern Metinvest mischt bei den Attrappen mit. Im Herbst 2023 meldete das Unternehmen, man habe 250 Attrappen an die ukrainischen Streitkräfte übergeben. Details der Produktion sind geheim. Bekannt ist aber, dass Metinvest unter anderem Imitate der britischen Haubitze M777 produziert.

    Offenbar gibt es auch Unterstützung aus dem Ausland: Das tschechische Unternehmen Inflachtech soll aufblasbare Modelle von Panzern an die Ukraine geliefert haben. Offizielle Bestätigungen dazu gibt es aber nicht – allerdings seitens des Unternehmens auch kein Dementi. Laut einer Recherche von „Voice of America“ liegen 50 Prozent der Firma in der Hand von Menschen, die ihren offiziellen Wohnsitz in Moskau haben.

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    Ukraine-Krieg: Minister macht klare Ansage zu Fake-Waffen

    Eines muss man klar sagen: Je eindrucksvoller und echter die Waffenattrappen daherkommen, desto größer stehen die Chancen, dass die russischen Streitkräfte Munition gegen sie einsetzen. In diesem Abnutzungskrieg, in dem die Ukraine gerade an den Rand ihrer Ressourcen kommt, ist das ein wichtiger Punkt. Die Ukraine blickt optimistisch auf den Einsatz von Waffenattrappen. Oleksandr Kamyschin, Kiews Minister für strategische Industrien, sieht die Ukraine in der Lage, Waffenmodelle jeglicher Komplexität zu bauen – angefangen bei den billigsten aufblasbaren Fakes bis hin zu hochpräzisen Imitaten.

    „Stellen wir uns mal vor, die Ukraine bekommt schwedische Artilleriesysteme vom Typ Archer“, sagte Kamyschin der „Ukrajinska Prawda“. „Jemand sollte dann im Voraus zu unseren Herstellern kommen und sagen: ‚Das wird jetzt passieren.‘ Wir brauchen dann drei Typen von Waffenattrappen zu Archer, aufblasbare Modelle, welche aus Sperrholz und hochpräzise Fakes. Das wird gut funktionieren.“

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    Auch für die Nachkriegszeit sieht Kamyschin großes Potenzial für die Zusammenarbeit mit den Partnern. „Man könnte einen echten HIMARS zusammen mit drei Fake-Modellen verkaufen und festlegen, wie dieses Paket vom Käufer verwendet werden soll“, betonte er. „Wir punkten mit dieser Anleitung, die wir aus unserer Anwendungspraxis erarbeiten können.“ Vorerst muss die Ukraine aber den aktuellen Krieg überstehen, was alleine mit Waffenattrappen nicht klappen wird – selbst wenn diese fast perfekt sind. Hinzu kommt: Russland arbeitet selbst an ähnlichen Strategien und kann auch schon Erfolge vorweisen. Allerdings sind sie bisher nicht so groß wie die der Ukrainer.