Ankara/Athen. Der türkische Präsident hat die Abstimmung am Sonntag zu einer über das System Erdogan gemacht. Ein Fehler. Doch noch nicht sein Ende.

Zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Staatsspitze erlitt Recep Tayyip Erdogan an den Wahlurnen eine klare Niederlage. Seine islamisch-konservative AKP landete bei den Kommunalwahlen vom Sonntag nur auf dem zweiten Platz. Und Erdogan kann das Debakel nicht auf vermeintlich schwache Kandidaten schieben. Er kann auch nicht unfähige Parteistrategen dafür verantwortlich machen. Dazu hat er sich selbst viel zu stark in den Wahlkampf eingebracht.

Fast täglich absolvierte er in den Wochen vor dem Urnengang Kundgebungen. Er machte damit die Kommunalwahl zu einer Abstimmung über das System Erdogan. Allein in Istanbul, seiner Heimatstadt, trat Erdogan sechs Mal auf. Hätte die AKP dort gewonnen, es wäre Erdogans Sieg gewesen. Jetzt ist es seine Niederlage.

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Die Gründe liegen nicht nur in der Wirtschaftskrise, die Erdogan mit seiner jahrelangen Politik des billigen Geldes selbst herbeigeführt hat. Immer mehr junge Menschen in den Städten lehnen sich auf gegen die Gängelung und die schleichende Islamisierung von Staat und Gesellschaft. Erdogan kündigt nun „Selbstkritik“ an. Er ist schon oft politisch totgesagt worden, hat aber bisher alle Rückschläge weggesteckt. Jetzt vom Ende Erdogans zu sprechen, wäre deshalb verfrüht.

Verfassungsreform könnte Erdogans Machterhalt sichern

Abzuwarten bleibt, welche Konsequenzen Erdogan aus der Niederlage zieht. Dass er sich nun auf die Werte der Demokratie und des Rechtsstaats besinnt, ist kaum anzunehmen. Wahrscheinlicher ist, dass er nun seine Pläne für eine Verfassungsreform vorantreibt, mit der er sich noch mehr Macht und die Möglichkeit einer weiteren Amtszeit als Präsident verschaffen könnte – auch wenn er zuletzt davon sprach, dies würden seine letzten Kommunalwahlen sein.

Gerd Höhler ist freier Korrespondent der FUNKE Zentralredaktion.
Gerd Höhler ist freier Korrespondent der FUNKE Zentralredaktion. © Netzhaut | Dirk Hoppe

Der Druck auf die Opposition, Regierungskritiker und Bürgerrechtler dürfte wachsen. Der siegreiche Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu von der Oppositionspartei CHP hat sich zwar als ernsthafter Konkurrent für Erdogan erwiesen. Und er ist inzwischen ein möglicher Anwärter auf die Präsidentschaft. Aber Erdogans Amtszeit läuft noch bis 2028 – vier Jahre, in denen viel passieren kann.