Berlin. Die Beschränkungen der Corona-Pandemie trafen Jugendliche besonders hart. Was haben sie dadurch verpasst? Drei Betroffene erzählen.

Die letzten Schuljahre sind eine besondere Zeit für die meisten Jugendlichen. Sie gehen auf Partys, lernen Leute kennen, verlieben sich, unternehmen erste Auslandsreisen ohne die Eltern – und planen ihre Zukunft auf den eigenen Beinen. Die Corona-Pandemie hat diese Erfahrungen für Millionen junge Deutsche unmöglich gemacht. Lockdowns, Kontaktbeschränkungen, Digitalunterricht: Über drei Jahre hinweg mussten sie immer wieder Einschränkungen ihrer Freiheit hinnehmen.

Das hat sie geprägt – bis heute. Im Vergleich zu anderen Krisen war Corona „eine besonders einschneidende Erfahrung, weil alle Jugendlichen und ihr Alltag unmittelbar von ihr betroffen waren“, erklärt Lisa Hasenbein vom Deutschen Jugendinstitut. Bestehende Ungleichheiten unter jungen Menschen seien noch verstärkt worden. „Diejenigen, die aus sozioökonomischen Gründen vorher schon in ihren Handlungs- und Gestaltungsspielräumen eingeschränkt waren, wurden noch stärker eingeschränkt“, so Hasenbein.

Lesen Sie auch:Long Covid – „Die Pandemie lebt in mir weiter“

Oft wirken die Erfahrungen der Pandemie bis heute nach. Studien belegen, dass Jugendliche noch immer unter Bewegungsmangel leiden und ihre Social-Media-Nutzung weiterhin problematisch hoch ist. „Der Alltag an den Schulen zeigt, die Corona-Pandemie hat bei den jungen Menschen vielfach negative Erfahrungen hinterlassen bis hin zu deutlichen Beeinträchtigungen des Lern- und Sozialverhaltens und der psychisch-emotionalen Stabilität“, berichtet Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.

Einschränkungen beeinflussten die Wahl des Studienortes

Die 22-jährige Julia Jung absolvierte ihre Abiturprüfungen noch vor den Einschränkungen im Frühjahr 2020. Das Abschlusszeugnis erhielt sie aber bereits per Post statt wie sonst in einer feierlichen Zeremonie mit Freunden und Familie. Die Pandemie beeinflusste auch die Wahl ihres Studienortes. Sie habe sich die Frage gestellt, wo sie sich, eingeschränkt durch den Lockdown, besser alleine beschäftigen könnte und entschied sich deswegen für die Großstadt Düsseldorf statt für die kleinere Studentenstadt Marburg.

Die 22-jährige Julia Jung hat ihr Abizeugnis per Post erhalten, statt wie sonst in einer feierlichen Zeremonie mit Freunden und Familie. 
Die 22-jährige Julia Jung hat ihr Abizeugnis per Post erhalten, statt wie sonst in einer feierlichen Zeremonie mit Freunden und Familie.  © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Tatsächlich war Jung in der Lage, sich trotz der pandemiebedingten Einschränkungen ein soziales Umfeld in der neuen Stadt aufzubauen. Über die Onlineplattform Discord verknüpfte sie sich mit Kommilitonen. Gemeinsam spielten sie Onlinespiele und unterstützten sich beim Lernen. Andere, die nicht mit diesen Online-Tools vertraut waren, hätten es deutlich schwerer gehabt.

Besonders das gemeinsame Lernen sei wichtig gewesen, Kommilitonen ohne ein entsprechendes Umfeld seien teilweise vor Aufgaben verzweifelt. Düll berichtet von ähnlichen Erfahrungen in den Schulen: „Bei vielen hat sich die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen durchaus verbessert“, erklärt er. „Allerdings ist das bei vielen anderen genau nicht so; sie waren durch die Schulschließungen und den Distanzunterricht überfordert.“

Mannheim statt Singapur: Auslandssemester gestrichen

Als dann später der Besuch der Universität wieder möglich war, habe sie sich sehr verloren gefühlt, erzählt Jung. Sie spricht von Orientierungslosigkeit auf dem Campus und großer Unsicherheit. Schließlich war sie von vielen Dozierenden monatelang unterrichtet worden, hatte aufgrund der Online-Lehre aber nie deren Gesicht gesehen.

Michael Janzen studierte bereits, als die Corona-Pandemie 2020 Deutschland erreichte. Der heute 23-Jährige stand kurz vor dem fünften Semester seines BWL-Studiums an der Universität Mannheim. Den Studienort wählte er unter anderem, weil der Studienplan vorsah, dass das fünfte Semester an einer der internationalen Partneruniversitäten verbracht wird.

Gleich zweimal sorgte die Corona-Pandemie dafür, dass Michael Janzen sein Auslandssemester in Singapur nicht absolvieren konnte.
Gleich zweimal sorgte die Corona-Pandemie dafür, dass Michael Janzen sein Auslandssemester in Singapur nicht absolvieren konnte. © privat | Privat

Janzens erste Wahl für seinen Auslandsaufenthalt: Singapur. Tatsächlich bekam er eine Zusage und plante seine Reise. Doch als die Pandemie ausbrach, wurden sämtliche Auslandsaufenthalte abgesagt. Die Universität bot den Studierenden stattdessen an, Kurse in Mannheim zu absolvieren oder aber das Auslandssemester um ein Jahr zu verschieben. Janzen entschied sich dafür, es ein Jahr später erneut zu versuchen.

Lesen Sie auch: Für Essen und Freizeit bleiben 35 Euro pro Woche

Zwar hätten ihn wohl starke Einschränkungen bis hin zur Quarantäne erwartet, er sei aber bereit gewesen, diese in Kauf zu nehmen, erinnert er sich. Doch einige Wochen vor Semesterstart folgte erneut eine Absage. Diesmal entschied er sich, die Kurse in Mannheim zu belegen und schloss seinen Bachelor ohne Auslandssemester ab.

Pandemie verhinderte einmalige sportliche Chance

Eine eher ungewöhnliche Auslandserfahrung wurde Jens Appelt verwehrt. Er spielt American Football und sollte im Sommer 2020 eigentlich die Möglichkeit bekommen, Probetrainings bei mehreren amerikanischen Colleges zu absolvieren. Das hätte die Chance auf ein Stipendium in den USA bedeutet und eine sportliche Weiterentwicklung. Denn: Wer am College Football spielt, hat deutlich bessere Karten, es bis in eine der großen nordamerikanischen Ligen – wie die US-amerikanische NFL – zu schaffen.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Instagram, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Appelt trainierte intensiv für die Reise. „Ich war in der Form meines Lebens“, sagt er rückblickend. Doch die Probetrainings wurden wenige Wochen vor der geplanten Reise abgesagt. Es war eine einmalige Chance für den damals 21-Jährigen, nach der Pandemie war ein College-Besuch schon nicht mehr möglich.

„Viele junge Menschen sind grundsätzlich gut durch die Corona-Pandemie gekommen, weil sie resilient sind und sich anpassen können“, sagt Jugendforscherin Hasenbein. Bei manchen könne man tatsächlich von einer fehlenden Jugend sprechen, bei anderen habe sie sich verschoben. Abhängig sei das vor allem davon, ob es möglich war, die verpassten Erlebnisse nachzuholen.

Corona-Pandemie als Lernerfahrung für junge Menschen

Auch die jungen Menschen, mit denen diese Redaktion gesprochen hat, haben nicht vor der Pandemie kapituliert. Jung hat ihr Bachelorstudium trotz der anfänglichen Hindernisse abgeschlossen, studiert nun im Master und plant zu promovieren. Auch Janzen studiert inzwischen im Master und absolviert derzeit ein Auslandssemester in Südkorea. Neidisch auf andere, die schon mehr Auslandserfahrungen sammeln konnten, ist er nicht. „Am Ende des Tages haben wir alle die Pandemie durchgemacht“, sagt er.

podcast-image

Appelt spielt derzeit bei einem deutschen Team in der höchsten europäischen Football-Liga ELF. Durch den Rückschlag sei in ihm die Motivation geweckt worden, sich in Europa zu beweisen. „Der Traum stirbt nie“, sagt er über die Chance, es bis in die NFL zu schaffen. Auf seiner Position könnte er auch noch bis ins hohe Sportleralter spielen.

Stefan Düll Düll sieht deshalb auch Positives, das für Jugendliche aus der Pandemie resultiert ist. Sie hätten „in jungen Jahren erlebt, dass Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in der Lage sind, einer Bedrohung wie der Corona-Pandemie letztlich erfolgreich zu begegnen, ohne dabei die Grundsätze von Rechtsstaat und Demokratie aufzugeben“. Im Hinblick auf Herausforderungen wie den Klimawandel und die europäische Sicherheit sei das nicht zu unterschätzen.