Berlin. CDU und CSU kassieren ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit 1949. Laschet will trotzdem aber Regierung bilden.

Als Punkt 18 Uhr die ersten Prognosen der ARD in der Berliner CDU-Zentrale auf den Bildschirmen erscheint, herrscht betretenes Schweigen bei den jungen Unterstützern. Dabei sieht die ARD – anders als das ZDF – die Union noch gleichauf mit der SPD.

Aber die Verluste sind dramatisch. Erst als ARD-Moderator Jörg Schönenborn vorrechnet, dass diese Zahlen nicht für eine rot-rot-grüne Koalition reichen würden, brandet Applaus auf. Das Schreckgespenst vom „Linksrutsch“ war das letzte große Argument der Union im Wahlkampf gewesen.

Als ihr Kanzlerkandidat Armin Laschet dann kurz vor 19.00 Uhr in der Berliner Parteizentrale vor die Kameras tritt, macht er klar, welchen Anspruch er hat. Er gibt sich kampflustig. Die Union habe aber von ihren Wählerinnen und Wählern „einen klaren Auftrag“ erhalten: „Eine Stimme für die Union ist eine Stimme gegen eine linksgeführte Bundesregierung“, sagt er. Deshalb werden man alles daran setzen, „eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden“. Lesen Sie auch:Die SPD feiert – aber kann Scholz regieren?

Niedergeschlagen und doch kampflustig: Armin Laschet am Wahlabend mit Angela Merkel in der CDU-Parteizentrale.
Niedergeschlagen und doch kampflustig: Armin Laschet am Wahlabend mit Angela Merkel in der CDU-Parteizentrale. © Getty Images | Sean Gallup

Von einer „Zukunftsregierung“ spricht Laschet – gemeint ist ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und den Grünen. Damit ist klar: Selbst wenn die Union am Ende der Stimmauszählung auf Platz zwei liegt, wird Laschet noch nicht aufgeben.

Auch bei der CSU, die sich vor der Wahl im Falle eines zweiten Platzes keine Jamaika-Verhandlungen vorstellen konnte, werden am Wahlabend neue Töne angeschlagen. CSU-Chef Markus Söder sprach sich für ein „Bündnis der Vernunft“ unter Führung von CDU-Chef Armin Laschet aus. „Wir glauben fest an die Idee eines Jamaika-Bündnisses“, sagte Söder am Sonntagabend in Berlin.

Die CSU wolle gemeinsam mit der CDU „in diese Gespräche gehen mit dem klaren Ziel, den Führungsauftrag für die Union zu definieren, dass Armin Laschet dann der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wird“, betonte Söder.

Merkels Rückzug stürzt die Union in eine Krise

Dennoch ist unbestritten, dass das Ergebnis der Union ist ein historischer Absturz. Selbst wenn es der Union gelingen sollte, eine Koalition zu schmieden und das Kanzleramt zu halten: Nie zuvor seit 1949 haben CDU und CSU weniger Zustimmung bei einer Bundestagswahl erhalten als an diesem Wahlsonntag.

Es ist ein Negativrekord, der das Ende von 16 Jahre Kanzlerschaft von Angela Merkel markiert. Dabei war bereits das Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 der bis dahin schwerste Tiefschlag der Union. Damals erhielten CDU und CSU gemeinsam 32,9 Prozent der Zweitstimmen. Jetzt hat die Union sich selbst noch einmal unterboten. Dieser Tiefschlag dürfte in den nächsten Tagen zu massiven Diskussionen in der Union führen. Lesen Sie auch: Wie ein Zweitplatzierter Bundeskanzler werden kann

Dass Merkels Rückzug die traditionelle Kanzlerpartei CDU in eine Krise stürzen würde, war im Vorfeld absehbar. Dass der Schlag so heftig ausfallen würde, dürfte auch am Spitzenkandidaten Laschet und seinem unglücklichen Wahlkampf liegen. Am Wahltag selbst leistete sich Laschet eine weitere Panne, als er seinen Wahlzettel nicht korrekt gefaltet hatte und Fotografen ablichteten, wo der Unionskandidat und seine Frau Susanne ihre Kreuze gemacht hatten.

Der Vorfall ist in gewisserweise bezeichnend für Laschets gesamten Wahlkampf. Es waren viele kleine Versprecher und Pannen, die seinem Image schadeten – und ein größerer Lapsus: Dass er bei einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Sommer im Hochwassergebiet selbstvergessen im Hintergrund plauderte und dabei breit lachte. Viele Bürgerinnen und Bürger nahmen ihm das in dieser Situation übel.

Laschet Wahlkampf war von Kämpfen und Pannen überschattet

Aber nicht nur Laschets Fehler führten zu einem vermurksten Unions-Wahlkampf. Dieser war von Anfang an durch den erbitterten Kampf um die Kanzlerkandidatur zwischen Laschet und CSU-Chef Markus Söder überschattet.

Nach seiner Niederlage konnte Söder es nicht lassen, immer wieder mit feinen Nadelstiche aus München daran zu erinnern, wen er für den besseren Kandidaten gehalten hätte. Natürlich sich selbst. Laschet warf er dagegen bei öffentlichen Auftritten vor, einen „Schlafwagen“-Wahlkampf zu führen. Es war sicher nicht jene Art von Geschlossenheit, die es gebraucht hätte.

Mit den sinkenden Umfragewerten für die Union wuchs in der CDU zugleich die Zahl derer, die Laschets Wahl zum Kanzlerkandidaten infrage stellten oder gar bereuten. Auch die Schützenhilfe von Kanzlerin Merkel gegen Ende des Wahlkampfs hatte keine neue Dynamik für Laschets Kandidatur gebracht.

Ohnehin hatte sich Merkel zunächst selbst verordnet, sich aus der Kampagne weitgehend herauszuhalten. Doch irgendwann änderte sie die Strategie, als erkennbar wurde, dass Laschet dringend Unterstützung brauchte. In den letzten drei Wochen entschied sich Merkel - wohl auch auf Drängen aus der CDU - den Kandidaten Laschet und damit ihren potenziellen Nachfolger im Kanzleramt zu unterstützen.

Noch am Tag vor der Abstimmung war Merkel gemeinsam mit Laschet in dessen Heimatstadt Aachen aufgetreten und hatte dort für ihn geworben. Es war der Versuch, auf den letzten Metern noch etwas von ihrem eigenen Beliebtheitsbonus an Laschet weitergeben – mit mäßigem Erfolg.

Am Sonntagabend kam Merkel auch ins Berliner Konrad-Adenauer-Haus – anders als Friedrich Merz. Obwohl Merz zu Laschets acht Personen starken „Zukunftsteam“ gehört, deren Mitglieder am Wahlabend fast vollständig in der Parteizentrale vertreten waren, war Merz abwesend. Er verbrachte den Wahlabend mit einer Gruppe von Unterstützern lieber im Sauerland. Wer wollte, konnte hierin eine erste Absetzbewegung von Laschet erkennen.

Die neue Regierungsbildung dürfte sich über Wochen hinziehen

Was die kommenden Wochen anbelangt, rechnen viele Beobachter ohnehin damit, dass den Unionsschwestern nach dem holprigen Wahlkampf und besonders nach diesem Ergebnis massive Konflikte ins Haus stehen. Es gibt vieles aufzuarbeiten. Sollte Laschet am Ende Kanzler werden können, dürfte der Zank weniger heftig ausfallen.

Sollte die Union aber nach 16 Jahren die Macht verlieren und CDU wie CSU auf der Oppositionsbank Platz nehmen müssen, dürften die Auseinandersetzungen allerdings beinhart werden.

Angesichts des knappen Wahlausgangs dürfte sich die Regierungsbildung über Wochen hinziehen. Für Merkel, die fortan geschäftsführend im Amt sein wird, rückt damit sogar ein persönlicher Rekord näher. Denn sie hat gute Chance, die Kanzlerin mit der längsten Amtszeit zu werden. Um den „ewigen Kanzler“ Helmut Kohl zu überrunden, müsste sie mindestens bis 17. Dezember im Amt sein. Wenn man die Koalitionsverhandlungen von 2017 zum Maßstab nimmt, könnte Merkel dieser Rekord gelingen.