Berlin. Der Staat pumpt Hunderte Millionen Euro in Integrationskurse. Viele Flüchtlinge müssen erst Lesen und Schreiben lernen.

Nicht immer läuft es so glatt wie bei Mohamad Zarda. Es dauert nicht einmal drei Jahre, da hat der 29 Jahre alte Syrer Deutsch gelernt, einen Ausbildungsplatz zum Fachinformatiker, Geld verdient, eine Wohnung in Berlin, Freunde.

So jemanden wie Zarda wünscht sich Deutschland. Weil das Land minimal investiert und maximal profitiert. Aber nicht alle haben die Energie wie der junge Syrer. Eine Leiterin von Sprachkursen erzählt von Frauen, die mitten in ihrem Leben das erste Mal einen Stift in der Hand halten. Eine Helferin, die Unterricht in einer Flüchtlingsunterkunft in Stuttgart gegeben hat, berichtet von jungen Männern, die in der Mittagshitze schlaff in ihren Stühlen hängen, Ramadan, Fastenzeit. Und andere, die müde sind von den Medikamenten gegen die Angstzustände, die sie immer noch haben seit ihrer Flucht.

Jeder Zweite erreicht das gewünschte Niveau nicht

1,2 Milliarden Euro gibt der Bund 2019 für Sprachkurse für Migranten und Flüchtlinge aus, 2018 waren es 100 Millionen mehr. Seit 2005 haben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 2,25 Millionen Menschen an einem Integrationskurs teilgenommen, sie lernen Deutsch und bekommen auch einen Crashkurs in deutscher Geschichte, zu Werten und Gesetzen. Es soll die Eintrittskarte für dieses Land sein.

Allein 1,15 Millionen Menschen besuchten seit 2015 diese Kurse. Die große Asylkrise – sie war eine Zäsur für die Kurse zur Integration. Vier Jahre danach findet ein strauchelndes System langsam wieder auf die Beine, sagen manche.

Andrea Herzog erinnert sich noch an ihre Kindheit. Sie erzählt von den vielen Nachkriegsflüchtlingen der jungen Bundesrepublik. In den Neunzigern erlebte sie, wie Menschen vor dem Krieg in Jugoslawien flohen. „Da gab es keine Angebote wie heute“, sagt sie. Die ältere Frau, selbst Lehrerin, begann 2015 ihren Sprachunterricht für Flüchtlinge. Deutschland sei mit dem System der Integrationskurse vorbildlich.

Aber Herzog sagt auch: Es sei ein Unterschied, ob ein Mensch in Spanien die Realschule besucht hat und dann Deutsch lernt, oder ob jemand von Land zu Land geflohen ist und erst mal das Alphabet lernen muss.

Vor 2015 waren in den Klassenzimmern Spätaussiedler aus Ex-Ostblockstaaten oder Migranten vom Balkan, Arbeiter aus Polen, Spanien oder Portugal, Neudeutsche aus Ghana oder England, manche hatten Deutsche geheiratet, andere kamen zur Arbeit. Jetzt sitzen in den Kursen viele Syrer, aber auch Menschen aus Eritrea, Iran, Somalia und Irak. Einige haben in ihrer Heimat keinen Schulabschluss.

Die Trends zeigen sich auch in den Ergebnissen. Auf Nachfrage unserer Redaktion hält das Bundesamt fest, dass knapp die Hälfte aller Teilnehmenden das anvisierte Sprachniveau B1 nicht schafft. Wer B1 hat, kann sich „einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern“. Immerhin ein Drittel erreicht noch das niedrigere Level A2 und „kann mit einfachen Mitteln die eigene Herkunft“ und „die direkte Umgebung“ beschreiben.

Deutschland muss deutlich mehr Menschen erst einmal das Alphabet beibringen, bevor sie Deutsch lernen können. Die Anzahl der „Alphabetisierungskurse“ ging nach Angaben des Bamf „erheblich“ nach oben. Dieser Integrationskurs geht über 1300 Unterrichtsstunden, noch einmal 300 länger als die regulären Kurse. Zwar erreichte 2018 laut Bamf knapp die Hälfte nach dem Kurs das Niveau A2 und 17 Prozent das bessere B1. Aber das Bamf schreibt auch, dass die Teilnehmer selbst nach den 1300 Stunden in der Regel „nicht genauso schnell und flüssig schreiben“ wie andere Zuwanderer und Geflüchtete.

Kay Sulk von den deutschen Volkshochschulen, einer der Hauptanbieter von Kursen, sagt: „Wir brauchen an manchen Stellen nur etwas mehr pädagogischen Fokus und Gelassenheit.“ Mit der Gelassenheit sei es aber vorbei, seitdem Horst Seehofer Innenminister ist, sagt ein Bamf-Mitarbeiter. „Die Kontrolldichte wurde ohne Ende erhöht.“ 2018 kontrollierte das Bamf nach eigenen Angaben 4148-mal die Kursanbieter.

24 Kursanbieter haben die Zulassung verloren

Nach eigenen Angaben hat das Bundesamt 2017 und 2018 nach „wiederholten Verstößen“ 24 Zulassungen für Anbieter von Integrationskursen widerrufen oder nicht verlängert. Das waren 1,4 Prozent aller Träger. „Etwa 50 bis 60 Prozent aller Träger absolvieren ihre Kurse ohne jede Beanstandung“, sagt Uta Saumweber-Meyer, Abteilungsleiterin Integration beim Bamf, unserer Redaktion. „Die restlichen Träger müssen mal mehr, mal weniger nacharbeiten.“ Die Bamf-Abteilungsleiterin berichtet von einem Fall, in dem ein Anbieter nur Campingstühle ins Klassenzimmer gestellt hatte.

Oft, das erzählen Flüchtlingshelfer und Kursleiter, hänge der Erfolg vom Einsatz und der Motivation der Lehrkraft ab. Von Menschen, die trotz wenig Lohn viel Engagement zeigen. Von Menschen wie Andrea Herzog, die vor dem Unterricht in einem Flüchtlingsheim noch losgezogen ist und selbst Landkarten von Hamburg und Deutschland gekauft hat, um den Schülern auch ein wenig die Geografie des Landes zu erklären.