Berlin. Was halten die Bundesbürger vom Gendern? Eine aktuelle Umfrage liefert ein interessantes Ergebnis. Was Wissenschaftler dazu sagen.

„Das Gendern ist immer wieder Streitthema und bringt die Menschen wirklich auf“, weiß Sprachwissenschaftler Robert Kaehlbrandt. Gerade erst hat CDU-Chef Friedrich Merz für Diskussionsstoff gesorgt, als er in seinem E-Mail-Newsletter schrieb: „Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar hundert Stimmen mehr zur AfD“. Doch was halten Bürger vom Gendern? Was sagen Wissenschaftler dazu? Und wie gehen Medien damit um?

Umfrage-Ergebnis: Vor allem junge Menschen wollen nicht gendern – zumindest in Dienstmails

Das Ergebnis einer aktuellen Civey-Umfrage im Auftrag unserer Redaktion zeigt: die Mehrheit der Deutschen spricht sich für gendergerechte Sprache aus – zumindest in firmeninternen Mails. So finden 60 Prozent der Befragten die Ansprache „Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen“ am besten. Ein Viertel spricht sich für die rein männliche Form aus. Zwölf Prozent enthalten sich und nur vier Prozent bevorzugen das sogenannte Binnen-I, also „Sehr geehrte KollegInnen“.

Interessant ist der Blick auf die Altersgruppen. Mit 43 Prozent finden die meisten jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren die Ansprache „Sehr geehrte Kollegen“ am besten. Je älter die Befragten sind, desto häufiger wird die Nennung beider Geschlechter bevorzugt.

Geht es allerdings um das Gendern in der Öffentlichkeit, in den Medien und in der Politik, fällt die Meinung in der Gesellschaft anders aus. Mit 44 Prozent finden die meisten Deutschen, dass die gleichzeitige Nennung von Mann und Frau zu häufig genutzt wird. Nur ein Drittel ist der Meinung, dass sie angemessen häufig gebraucht wird und 20 Prozent, dass sie zu selten genutzt wird. Drei Prozent enthalten sich.

Auch hier fällt im Altersvergleich auf, dass sich vor allem junge Deutsche gegen das Gendern in Öffentlichkeit, Medien und Politik aussprechen: 60 Prozent der Befragten zwischen 18 und 29 Jahren finden, dass die Erwähnung beider Geschlechter zu häufig verwendet wird. Personen zwischen 40 und 49 Jahren sehen das andersherum. Im Unterschied zu Männern finden mit 22 Prozent etwas mehr Frauen, dass zu wenig gegendert wird.

Wissenschaftler: Gendern kann zur Spaltung in der Gesellschaft führen

Mit Blick auf die Merz-These vom Zuwachs der AfD durch allzu häufiges Gendern, gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Sprachwissenschaftler Josef Klein von der FU Berlin bezweifelt, dass das Gendern allein den Zulauf zur AfD verstärkt. „Aber wer über die Regierung und die öffentlichen Medien schwer verärgert ist, bei dem dürfte das Gendern in Nachrichtensendungen den Sprung zur AfD fördern.“ Grundsätzlich sei Sprache immer ein Stück Identität. „Und wenn daran gewackelt oder gerüttelt wird, führt das zur Spaltung in der Gesellschaft und kann populistische Tendenzen verstärken.“ Vor allem dann, wenn versucht werde, „die gendergerechte Sprache teilautoritär über kommunikative Strategien von Eliten ins Volk einzudrücken“.

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Sprachwissenschaftler Thomas Niehr von der Technischen Hochschule Aachen hält die These von Friedrich Merz für überspitzt. „Es gibt zumindest keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Menschen das Kreuz bei der AfD setzen, wenn sie gegenderte Nachrichten sehen“, sagt er. Ausschließen könne er das aber nicht.

Wieso das Gendern immer wieder für Diskussionsstoff sorgt

Wieso das Gendern in der Gesellschaft immer wieder für Aufregung sorgt, erklärt Sprachwissenschaftler Robert Kaelhbrandt, Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er sieht den Hauptgrund im starken Eingreifen in die Morphologie der Sprache. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Genderstern in Texten verwendet wird. „Der Sinn dabei ist, dass gestört wird, dass wir bei jeder Personenbezeichnung innehalten und sagen: Halt, es gibt nicht nur Männer, es gibt über 60 Geschlechter. Aber wenn etwas stören soll, dann stört es auch.“

Welche Form des Genderns sich durchsetzen wird, können die drei Sprachwissenschaftler nicht beantworten. Robert Kaehlbrandt betont: „Ich wünsche mir aber, dass wir aus dieser Sackgasse, dieser Polarisierung und Aufgeregtheit herauskommen und dass wir bei unserem Streit eine vernünftige Gesprächskultur wahren.“ Sprache sei schließlich in erster Linie dazu da, vernünftig miteinander zu kommunizieren.

ARD, ZDF, Deutschlandfunk: So wird im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegendert

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es keine einheitlichen, verbindlichen Richtlinien zum Gendern. Von einem ARD-Sprecher heißt es auf Anfrage: „Der sogenannte Genderstern und andere Schreibweisen wie Gender-Gap und Binnen-I finden in vielen ARD-Medienhäusern keine Verwendung. Dies gilt insbesondere für die Nachrichten.“ Die Medienhäuser seien bemüht um eine Sprache, die nicht ausgrenzt. In der Tagesschau und den Tagesthemen werden neutrale Bezeichnungen wie „Team“ verwendet oder beide Geschlechter erwähnt. Ausnahmen sind Programmangebote für jüngere Nutzer, wie die junge rbb-Radiowelle Fritz.

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Das ZDF erklärte auf Anfrage: „Grundsätzlich achtet das ZDF darauf, diskriminierungsfrei zu kommunizieren. Dabei sollen sich alle angesprochen und wertschätzend behandelt fühlen.“ Auch beim Deutschlandradio wird das Gender-Gap in Nachrichtensendungen nicht verwendet. „Die Diskussion, wie gendersensible Sprache aussehen kann, ist aber wie bei den meisten Medienunternehmen auch bei uns im Haus im Fluss“, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Lesen Sie auch den Kommentar: Gendern: Mehr Fingerspitzengefühl beim Umgang mit Sprache