Berlin. Im Kosovo bricht der Konflikt der ethnischen Gruppen wieder auf. Beteiligt ist auch Serbien. Alle Fragen und Antworten im Überblick.

Die Augen der Weltöffentlichkeit sind seit Monaten auf den grausamen Krieg in der Ukraine gerichtet. Doch auch andernorts in Europa brodelt es. Einer dieser aktuell "vergessenen" Konflikte spielt auf der Balkan-Halbinsel, genauer gesagt im Kosovo. Das Land, in dem bis 1999 ein Krieg Tausende Todesopfer forderte und das bis heute nur von einem Teil der Welt als souveräner Staat anerkannt wird, kommt nicht zur Ruhe.

Das zeigt sich aktuell einmal mehr. Zwar ist die Lage im serbisch bevölkerten Norden des Landes nach Ausschreitungen am Freitag inzwischen wieder ruhig. Doch als Erkenntnis blieb: Die Regierung in der serbischen Hauptstadt Belgrad hatte erneut demonstriert, dass sie im Norden des Kosovos Unruhe stiften kann.

Militante Serben hatten am Freitag in drei nordkosovarischen Gemeinden kosovarische Polizisten angegriffen, die sich Zugang zu den Gemeindeämtern verschaffen wollten. Seit Wochen ist es in er Region unruhig. Die USA und Deutschland sind besorgt über die Entwicklung und kritisierten die kosovarische Regierung nun, weil die dortige Polizei die neu gewählten Bürgermeister, die zur albanischen Bevölkerung gehören, in den von serbischer Bewohnern dominierten Gemeinden eskortiert hatte. Ein Überblick über einen komplexen Konflikt, der erneut aufbricht.

Aufgebrachte Serben und kosovarische Polizisten vor einem Behördengebäude in der Stadt Zvecan im Nordkosovo.
Aufgebrachte Serben und kosovarische Polizisten vor einem Behördengebäude in der Stadt Zvecan im Nordkosovo. © AFP | Stringer

Ausschreitungen und Gewalt im Kosovo: Worum geht es?

Am 23. April fanden in den vier mehrheitlich von Serben bewohnten Gemeinden im Nordkosovo Kommunalwahlen statt. Diese waren notwendig geworden, weil die Kosovo-Serben, die von der Partei Srpska Lista und damit vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic kontrolliert werden, Anfang November vergangenen Jahres alle Institutionen des Kosovos verlassen hatten, Dazu zählen auch die Bürgermeisterämter und die Gemeinderäte der mehrheitlich serbischen Gemeinden.

Sie hatten damit dagegen protestiert, dass die kosovarische Regierung Strafen für das Verwenden von serbischen Nummerntafeln einführen wollte. Weil die Mehrheit der Kosovo-Serben jedoch die Wahlen am 23. April auf Geheiß aus Serbien boykottierte – nur 3,47 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab – wurden Kosovo-Albaner als Bürgermeister gewählt. Diese wurden vergangene Woche vereidigt. Als sie am Freitag in die Gemeindeämter gehen wollten, um ihre Arbeit aufzunehmen, wurden sie von aufgebrachten Serben daran gehindert. Die kosovarische Polizei schritt ein.

Serbiens Einfluss auf den Kosovo: Wie kam es zur Eskalation?

Die kosovarische Polizei eskortierte die umstrittenen neuen Bürgermeister in ihre Gemeindebüros. Dabei kam es zu Zusammenstößen zwischen im Kosovo lebenden Serben, die sich durch diese Bürgermeister nicht vertreten fühlen, und der Polizei.

Zuvor waren in allen vier Gemeinden Sirenen ertönt, die Bürgerinnen und Bürger wurden dadurch aufgerufen, gegen den Amtsantritt der albanischen Bürgermeister zu protestieren. Ein Polizeiauto wurde in Flammen gesetzt. Etwa zehn Serben und fünf Polizisten wurden verletzt. Einige Serben warfen Steine.

Die USA sehen die Schuld für die Eskalation bei den kosovarischen Behörden und werfen der kosovarischen Regierung vor, die Vertreter der internationalen Gemeinschaft nicht ausreichend über ihr Vorgehen informiert zu haben. Auch die Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens schlossen sich dieser Kritik an.

Polizist einer Spezialeinheit nach den Ausschreitungen in Zvecan.
Polizist einer Spezialeinheit nach den Ausschreitungen in Zvecan. © imago/Pixsell | IMAGO/Stringer/PIXSELL

Eskalation im Kosovo: Wie geht es jetzt weiter?

Der kosovarische Minister für Kommunalverwaltung, Elbert Krasniqi, sagte, dass am Freitag der erste Arbeitstag der Bürgermeister gewesen sei. „Sie haben sich verpflichtet, allen Bürgern ohne Unterschied zu dienen. Als Ministerium und als zentrale Institutionen werden wir die neuen Bürgermeister bei der Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen und gesetzlichen Verpflichtungen voll und ganz unterstützen“, so Krasniqi. Die Polizei betonte, sie helfe den Bürgermeistern, „ihr Recht auf Arbeit in offiziellen Gebäuden wahrzunehmen“.

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic erteilte der Armee den Befehl, die Kampfbereitschaft auf das höchste Niveau zu erhöhen. Verteidigungsminister Milos Vucevic sagte, die serbische Armee würde an die Grenze zum Kosovo gebracht. „Es ist klar, dass Terror gegen die serbische Gemeinschaft im Kosovo verübt wird“, so Vucevic.

Welche Interessen verfolgt Serbien im Kosovo?

Nach zwei Amokläufen mit 16 Toten Anfang Mai wurde in Serbien zunehmend Kritik an TV-Sendern geübt, die das autokratische Regime von Vucic stützen und in denen Gewalt verharmlost und Verbrecher – unter anderem Kriegsverbrecher – zu Wort kommen, als wären sie Teil der Mitte der Gesellschaft. Vor einer Woche fand in Belgrad eine Demonstration gegen Gewalt statt – die größte seit dem Sturz des Regimes von Slobodan Milosevic im Jahr 2000.

Proteste in Serbien vor neuen Gesprächen mit dem Kosovo

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    Dabei zeigte sich, wie verzweifelt viele Menschen in Serbien sind, weil das Regime nicht adäquat auf die Gewalttaten geantwortet hat. Wie bereits mehrmals in der Vergangenheit versuchte Vucic auch am Freitag, durch eine Massenveranstaltung und die Inszenierung von Konflikten im Nordkosovo von der innenpolitischen Situation abzulenken. Hunderttausende Anhänger seiner Fortschrittspartei wurden nach Belgrad gekarrt. Am Samstag trat er vom Parteivorsitz zurück – bleibt aber dennoch Präsident.

    Welche Maßnahmen zur Deeskalation wurden ergriffen?

    Die kosovarische Polizei und die multinationale Nato-Truppe KFOR, die im Kosovo im Einsatz ist, verstärkten die Präsenz auf den Straßen. Die KFOR kritisierte, dass „es durch den erzwungenen Zutritt neu gewählter Bürgermeister zu Gemeindegebäuden zu einer Reihe von Zusammenstößen“ gekommen sei. „Dies ist äußerst gefährlich für den Normalisierungsprozess und birgt die Gefahr einer weiteren Eskalation der Spannungen." Die KFOR verurteile diese einseitigen Handlungen auf das Schärfste und fordere alle Parteien auf, von Gewalt abzusehen.

    Weshalb kommt es immer wieder zu Streit zwischen Serbien und dem Kosovo?

    Der Grund für die Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo liegen in der Geschichte. Letzterer erklärte sich 2008 als unabhängig und löste sich damit von dem ungeliebten Bündnis mit Serbien, das nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens entstanden war. Serbien hat diese Unabhängigkeit jedoch bis heute nicht anerkannt und unterhält im Nachbarland, dass es als autonome Provinz betrachtet, Parallelstrukturen für die dort lebenden Serben, die vor allem im Norden beheimatet sind.

    Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovos stützte sich darauf, dass in Jugoslawien unter dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic zwischen 1989 und 1998 umfassende Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Zivilbevölkerung begangen wurden. Der Internationale Gerichtshof (IGH) befand im Jahr 2010, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo völkerrechtskonform sei. Auch Deutschland erkennt den Kosovo als souveränen Staat an.

    Wie wirkt der geopolitische Kontext auf die Situation in der Region?

    Die derzeitige serbische politische Elite hält an einer Schaukelpolitik fest, in der sie sich sowohl dem Westen als auch Russland und China annähert. Deshalb unterstützt Serbien die Sanktionen gegen den Kreml und dessen Verbündete wegen des Krieges gegen die Ukraine nicht. Russland und China wiederum verhindern im UN-Sicherheitsrat die Anerkennung des Staates Kosovo.

    Im Westen wächst derzeit die Sorge, dass Serbien sich noch stärker an Russland und China binden und Russland auf dem Balkan eine „zweite Front“ der Destabilisierung eröffnen könnte. Deshalb versuchen westliche Kräfte, die serbische Regierung auf ihre Seite zu ziehen – einerseits durch EU-Gelder, andererseits durch diplomatische Initiativen wie die Verhandlungen für ein Abkommen zwischen Kosovo und Serbien. Die serbische Regierung hat jedoch bereits klargestellt, dass sie ein solches Abkommen nicht unterschreiben werde.