Paris. Kanzlerin Merkel war in Paris gerne gesehen, die deutsch-französische Achse intakt. Unter Olaf Scholz hat die Beziehung Risse bekommen.

Die Reise von Olaf Scholz nach Paris beginnt mit einer exklusiven Begrüßung. „Willkommen an Bord, Herr Bundeskanzler“, sagte der Pilot des Airbus A340 als Scholz am Vormittag in Berlin den Regierungsflieger besteigt. Eigentlich hätten mehrere Minister den Kanzler nach Frankreich begleiten sollen. Doch ein für diesen Mittwoch geplantes deutsch-französisches Ministertreffen war kurzfristig abgesagt worden – ein ungewöhnlicher Vorgang. Das gemeinsame Format soll ein Beweis für die engen Beziehungen der beiden großen Staaten im Herzen Europas sein.

Die Differenzen bei einer ganzen Reihe von Themen waren im Vorfeld aber zu groß gewesen. Der Ministerrat soll zwar in einigen Wochen nachgeholt werden. Klar ist jedoch: Inmitten der größten Krise in Europa seit Jahrzehnten ist der deutsch-französische Motor ins Stocken geraten. Scholz reiste daher nun allein nach Frankreich und versuchte sich bei einem Mittagessen mit Präsident Emmanuel Macron als Mechaniker.

Das Verhältnis von Macron und Merkel war eng

Von deutscher Seite war die Bedeutung der Absage des Ministerrats heruntergespielt worden. Aus französischer Sicht gibt es jedoch einiges zu reparieren. In Frankreich ließen Regierungsvertreter ihrem Frust über die Beziehungen zu Deutschland freien Lauf. Zum Besuch des Kanzlers titelte die Zeitung „Libération“: „Französisch-deutsche Spannungen: Olalaf!“ Die Botschaft: Mit dem reservierten Sozialdemokraten im Kanzleramt läuft es nicht.

Das war einmal anders: Es ist knapp ein Jahr her, dass Macron Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel mit viel Ehr und Würde verabschiedete. Zunächst mussten sich die Kanzlerin und der impulsive Präsident aneinander gewöhnen, nachdem Macron 2017 als erst 39-Jähriger ins Amt kam.

Mit der Zeit entwickelten die beiden jedoch ein vertrauensvolles Verhältnis. Zum Dank lud der französische Staatschef wenige Wochen vor dem Ende ihrer Amtszeit ins Burgund ein, während eines gemeinsamen Bummels durch die Altstadt von Beaune erfreuten Passanten die Deutsche mit „Merci“-Rufen.

Macron schickt Scholz eine eindringliche Mahnung

Macron verlieh Merkel das Großkreuz der Ehrenlegion und fand bewegende Worte für die scheidende Regierungschefin. „In all den Jahren hast Du Europa in den Krisen zusammengehalten“, sagte Macron und traf damit auch Merkels Verständnis von ihrer Rolle auf dem Kontinent.

Zwar brauchte es auch in Merkels Amtszeit immer viel Vorarbeit, Verhandlungen und gegenseitiges Verständnis, bevor Deutschland und Frankreich sich gemeinsam positionierten. Aber die Abstimmung zwischen Berlin und Paris war eng, die deutsch-französische Achse in Europa schien zum Ende von Merkels Amtszeit intakt.

Und heute? „Es ist weder gut für Europa, noch für Deutschland, wenn Deutschland sich isoliert“, mahnte Macron nach dem letzten EU-Gipfel den Bundeskanzler. In Zeiten, in denen die EU um Geschlossenheit gegenüber Russland ringt, lassen solche Worte die Gemeinschaft erbeben. Die Regel Nummer 1 im Handbuch der Europapolitik lautet schließlich: Hakt es zwischen Deutschland und Frankreich, geht es in der EU nicht voran.

Scholz findet für seine Politik gern lautmalerische Ausdrücke. Die Wortmeldung von Macron könnte man als „Riesenrumms“ bezeichnen.

Wer übernimmt die Führungsrolle in Europa?

Ein Grund für die Verstimmungen mag sein, dass Macron nach Merkels Abschied gerne die Führungsrolle in Europa übernehmen würde. So waren auch seine Vorschläge für eine grundlegende Reform der EU zu verstehen, die er im Mai vorgestellt hatte – im Alleingang, ohne Scholz.

Der Bundeskanzler wiederum hielt Ende August eine Grundsatzrede zur Europapolitik in Prag, in der die Bedeutung der deutsch-französischen Partnerschaft aus Sicht der Regierung in Paris viel zu kurz kam. Stattdessen richtete Scholz ein ausdrückliches Angebot vor allem an die Osteuropäer, einen gemeinsamen Raketenschild aufzubauen.

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Es gibt aber auch handfeste Meinungsverschiedenheiten in der Frage, wie Europa auf die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine reagiert. Frankreich sieht in dem nationalen „Doppelwumms“ des Kanzlers einen einsamen Alleingang. Mit bis zu 200 Milliarden Euro will Scholz für Bürger und Unternehmen die Folgen der hohen Energiepreise abdämpfen. Die Regierung in Paris fühlte sich überrumpelt.

Paris über deutsche Politik verstimmt

Außerdem fordert Macron, die Energiekrise mit EU-Mitteln zu bekämpfen. Dagegen sperrt sich die Bundesregierung – Deutschland ist größter Geldgeber solcher Hilfsfonds. Diese Debatten begleiteten jedoch auch Merkel während ihrer Amtszeit.

Uneinigkeit sind sich Scholz und Macron auch darin, wie eine europäische Gaspreisbremse aussehen sollte. Schließlich ist die Regierung in Paris verärgert darüber, dass Deutschland die 100 Milliarden Euro zur Modernisierung der Bundeswehr etwa für US-Kampfjets ausgeben will, anstatt auf europäische Waffensysteme und Gemeinschaftsprojekte zu setzen.

Von dem Treffen bleibt der Eindruck der Sprachlosigkeit

Das Treffen von Macron und Scholz dauerte deutlich länger als geplant. War Macron aber nach dem Antrittsbesuch von Scholz im Dezember noch voller warmer Worte in einem prunkvollen Saal des Élysée-Palasts gemeinsam mit dem Bundeskanzler vor die Presse getreten, blieben die beiden Staatsmänner dieses Mal öffentlich stumm.

Keine Pressekonferenz, kein kurzer Auftritt vor den Kameras, um gemeinsam die Debatten um tiefgreifende Verstimmungen zu beenden. Was somit blieb von dem Besuch des Kanzlers in Paris war der Eindruck der Sprachlosigkeit.

Aus deutschen Regierungskreisen hieß es im Anschluss, das Treffen sei „sehr intensiv“ und „sehr partnerschaftlich“ gewesen. Die Atmosphäre habe nicht der öffentlichen Wahrnehmung der deutsch-französischen Beziehungen entsprochen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de