München. Der Kanzler steht bei den Waffenlieferungen an die Ukraine plötzlich an der Spitze des Zuges. Vor den Leoparden galt er als Bremser.

Nur an einer Stelle wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) emotional. „Lieber Wolodymyr, wir hätten dich heute sehr gern in unserer Mitte gehabt. Die Ukraine gehört hierher, an unsere Seite, in ein freies, geeintes Europa“, sagt Scholz zu Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz am Freitagnachmittag.

Kurz zuvor hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Video in einem dramatischen Appell die internationale Gemeinschaft zur schnelleren Lieferung von Waffen aufgefordert. Dabei vergleicht er den Kampf der Ukraine gegen die russischen Invasoren mit dem biblischen Kampf von David gegen Goliath. „Wir alle müssen Goliath besiegen, der uns zerstören will“, betont Selenskyj.

Nötig sei jetzt eine „stärkere Steinschleuder“ – sprich: die schnelle Lieferung von Waffen an sein Land. Er bedankt sich bei allen Ländern, die die Ukraine bislang mit Rüstungsgütern unterstützt haben. Zwei Staats- und Regierungschefs hebt er namentlich heraus: „Olaf“ und „Emmanuel“ (Frankreich Präsident Macron).

Kanzler Scholz wird vom Bremser zum Anführer

Der Kanzler scheint plötzlich in einer privilegierten Position zu sein. Die CNN-Moderatorin Christiane Amanpour will von Scholz später wissen, warum Deutschland nun moderne Kampfpanzer vom Typ 2A6 an die Ukraine liefere und andere Länder eher zögerten. Ob er nicht Druck ausüben könne. Da lächelt der Kanzler verschmitzt. „Da müssen Sie die anderen fragen: Diejenigen, die mich besonders bedrängt haben.“

Lange Zeit hatte die Bundesregierung ein Schmuddel-Image beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine. Insbesondere osteuropäische Länder – allen voran Polen – und das Baltikum mahnten die Freigabe für Leopard-Panzer an. Wenn Deutschland schon nicht selbst Militärgerät verschicke, solle es wenigstens für andere die Genehmigung erteilen, so der Tenor.

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Heute ist die Lage so: Deutschland liefert, doch die internationale Panzerkoalition läuft nur schleppend an. Scholz vollzieht bei seiner Eröffnungsrede währen der Münchner Sicherheitskonferenz einen Balanceakt: Er zeigt klare Kante gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin – und versucht gleichzeitig, die Risiken einer Eskalation zu minimieren.

Der Kanzler wendet sich direkt an diejenigen in Deutschland, die Sorgen vor einer Ausweitung des Krieges haben: „Ihnen möchte ich sagen: Nicht unsere Waffenlieferungen sind es, die den Krieg verlängern. Das Gegenteil ist richtig.“ Er redet bedächtig, überlegt, weicht nur selten von seinem Manuskript ab. „Je früher Präsident Putin einsieht, dass er sein imperialistisches Ziel nicht erreicht, desto größer ist die Chance auf ein baldiges Kriegsende, auf Rückzug russischer Eroberungstruppen.“

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Olaf Scholz hebt deutsche Unterstützung für Ukraine hervor

Es ist eine der Stellen, an denen Scholz im Konferenzsaal des Hotels „Bayerischer Hof“ am meisten Applaus bekommt. Gleichzeitig mahnte der zur Vorsicht: „Zum ersten Mal in unserer Geschichte führt eine Nuklearmacht hier auf europäischem Boden einen imperialistischen Angriffskrieg. Für das, was in dieser Lage zu tun ist, gibt es keine Blaupause.“

Es ist ein Echo auf Scholz‘ bisheriges Motto: keine Alleingänge, enge Absprachen – vor allem mit den USA, Deutschland und die Nato dürften nicht zur Kriegspartei werden. Mit Stolz verweist der Kanzler auf seine Bilanz: „Allein Deutschlands Hilfe für die Ukraine belief sich im vergangenen Jahr auf über zwölf Milliarden Euro.“ Und: „Wir liefern hochmoderne Waffen, Munition und andere militärische Güter – mehr als jedes andere Land in Kontinentaleuropa.“

In Polen werden bereits ukrainische Soldaten auf Panzern des Typs
In Polen werden bereits ukrainische Soldaten auf Panzern des Typs "Leopard" ausgebildet. © dpa | Maciej Kulczynski

In München kann Scholz auch deshalb so selbstbewusst auftreten, weil es bei den deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine Anfang Januar einen Gezeitenwechsel gab. Wichtig für den Kanzler: Er erfolgte im Gleichklang mit den Amerikanern. Am 5. Januar kündigte Scholz an, 40 „Marder“-Schützenpanzer in die Ukraine zu entsenden. Gleichzeitig sagte US-Präsident Joe Biden die Verschickung von „Bradley“-Schützenpanzern zu. Am 25. Januar gab der Kanzler die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern an die Ukraine bekannt. Auch hier der Schulterschluss mit Biden: Der Präsident versprach die Entsendung von „Abrams“-Kampfpanzern. Lesen Sie auch: So steht es um Panzer und Munition für die Ukraine

US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Bundeskanzler Olaf Scholz: Freundliches Zusammentreffen auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Bundeskanzler Olaf Scholz: Freundliches Zusammentreffen auf der Münchner Sicherheitskonferenz. © Thomas Kienzle/AFP POOL/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der Kanzler vollzieht in der Russland-Politik eine Kehrtwende

Mit der Leopard-Entscheidung katapultierte sich die Bundesregierung aus ihrer Blockade-Haltung. Deutschland, lange am Ende des Zuges, befindet sich plötzlich an der Spitze. Scholz wird zu „Kanzler Leo der Zweite“. Scholz hat in eineinviertel Jahren eine lange Wegstrecke zurückgelegt. Man könnte es sogar als 180-Grad-Wende in Raten bezeichnen. „Der Fortschritt, den Deutschland innerhalb eines Jahres gemacht hat, ist phänomenal“, lobt ein hochrangiger britischer Diplomat.

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Lange Zeit galt Scholz – neben Kanzlerin Angela Merkel – als Galionsfigur einer verfehlten Russlandpolitik. Kurz nach der Amtsübernahme, im Dezember 2021, hatte er das deutsch-russische Erdgas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 noch als rein wirtschaftliches Projekt angepriesen. Die Warnungen aus Osteuropa, dem Baltikum und zum Schluss sogar aus Frankreich vor zu großer wirtschaftlicher Abhängigkeit ignorierte er. Bei den Waffenlieferungen an die Ukraine hatte er den Ruf des großen Bremsers. Die USA und Großbritannien preschten vor und verschickten Panzerabwehrraketen und Artilleriegeschütze.

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Das ist nun Schnee von gestern. In München bekennt sich Scholz nicht nur zum Ziel, „dauerhaft“ zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Er macht sich auch für eine „leistungs- und wettbewerbsfähige Rüstungsindustrie – in Deutschland und in ganz Europa“ stark. „In der Rüstungspolitik muss die Europäische Union strategisch an einem Strang ziehen.“ Es sind völlig neue Töne, mit denen der Kanzler ins zweite Jahr des Ukraine-Krieges geht.

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