Washington. Der Schuldenstreit in den USA muss bis zum 1. Juni beigelegt sein – sonst drohen auch in Europa und Deutschland verheerende Folgen.

Noch nie hat ein amtierender US-Präsident das pazifische Inselreich Papua-Neuguinea besucht. Joe Biden wollte nächste Woche für die Premiere sorgen. Doch daraus wird nichts. Auch ein Treffen mit Australien, Japan und Indien im Nachgang des G7-Gipfels ist kurzfristig abgesagt worden. Biden wird ab Sonntag unbedingt zuhause gebraucht. Denn es brennt politisch lichterloh in Washington.

Wieder einmal heißt die Frage: Geht Amerika finanziell über die Klippe? Oder gibt es eine Last-Minute-Lösung, die eine „weltweite Panik”, stark steigende Zinsen, einen Absturz der Aktienkurse und den Verlust von „Milliarden von Dollar an Wirtschaftswachstum und Millionen Jobs” verhindert, wie Finanzministerin Janet Yellen sagt. Grund für die Alarmstimmung ist der festgefahrene Streit um die Anhebung der Schuldenobergrenze.

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In den Vereinigten Staaten legt der Kongress fest, wie viel Geld sich der Staat leihen darf, um seine Verbindlichkeiten zu bedienen. Der aktuelle Schuldendeckel liegt bei 31,4 Billionen Dollar. Er ist bereits seit Mitte Januar erreicht. Seither trickst das Finanzministerium mit Posten-Verschiebungen, um die Liquidität zu sichern. Yellen warnt, dass die Supermacht bereits in zwei Wochen ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Gefühlter Stichtag: 1. Juni.

Biden wirft Republikanern „Erpressungsversuch“ vor

Die Ministerin betont, dass die seit über 100 Jahren existierende Schuldenobergrenze seither rund 80 Mal mehr oder minder geräuschlos angehoben wurde, um einen Staatsbankrott abzuwenden. Gleichzeitig räumt die frühere Chefin der Notenbank Federal Reserve ein, dass die ideologischen Verhärtungen zwischen den beiden großen Parteien aber auch noch nie so massiv gewesen seien wie heute.

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Um die Schuldenobergrenze anzupassen, benötigen die Demokraten um Biden die Zustimmung der Republikaner. Sie stellen im Repräsentantenhaus die Mehrheit, wollen aber eine Anhebung nur dann mittragen, wenn im Gegenzug die seit Jahren ausufernden Staatsausgaben gekappt werden.

US Präsident Joe Biden muss seine geplante Reise nach Papua-Neuguinea absagen.
US Präsident Joe Biden muss seine geplante Reise nach Papua-Neuguinea absagen. © AFP | Olivier Douliery

Konkret hat die „Grand Old Party” im Aufgalopp des Wahljahres 2024 Kern-Bestandteile der Reformpolitik Bidens im Visier, der nach der Corona-Pandemie milliardenschwere Subventionen für grüne Energie und Soziales politisch durchgesetzt hat. Biden erkennt darin einen „Erpressungsversuch” und lehnt mit Begleitschutz einer engen demokratischen Mehrheit im Senat die Verquickung der beiden Themen ab.

Finanz-Drama in den USA: 40 Abgeordnete könnten ihr Land vor die Wand fahren

Er pocht auf Anhebung der Schuldenobergrenze ohne Vorbedingungen; über Ausgabenkürzungen könne man gesondert reden. Biden hält den Republikanern vor, die Wirtschaft des Landes mit dem drohenden Zahlungsausfall in „Geiselhaft” zu nehmen, um ihre politische Agenda zu forcieren.

Rund 40 extrem konservative republikanische Abgeordnete sind nach jüngsten Zählungen gewillt, ihr Land vor die Wand fahren zu lassen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Biden insistiert: „Die Anhebung der Schuldengrenze bezieht sich nur auf Bundes-Ausgaben, die der Kongress in der Vergangenheit bereits genehmigt hat.”

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Die Folgen eines Zahlungsausfalls („default”) könnten je nach Dauer schnell verheerende Wirkungen zeitigen, wenn sich von den monatlichen Schecks für rund 66 Millionen Rentner bis zu Anweisungen für drei Millionen Veteranen und aktive Militär-Angehörige Zahlungen des Staates verzögern oder ganz ausbleiben. Unternehmen, die von Staatsaufträgen leben, wären akut bedroht. Was von der Flugsicherung über den Strafverfolgung bis zum Grenzschutz und den Telekommunikationsnetzen negative Auswirkungen auf die innere Sicherheit hätte.

USA: Mehr als acht Millionen Arbeitsplätze könnten wegfallen

Bei einem längeren Zahlungsausfall rechnet das Weiße Haus mit dem Verlust von über acht Millionen Arbeitsplätzen; alle Anstrengungen im Nachgang der Corona-Pandemie würden zunichte gemacht. Tendenziell gerieten die USA in eine schwer Rezession, wenn Konsumenten weniger Geld ausgeben, der Häusermarkt erneut unter Druck gerät, kleinere Betriebe Personal entlassen und die Arbeitslosigkeit steigt.

Kevin McCarthy, Vorsitzender des Repräsentantenhauses, spricht während einer Pressekonferenz auf dem Capitol Hill.
Kevin McCarthy, Vorsitzender des Repräsentantenhauses, spricht während einer Pressekonferenz auf dem Capitol Hill. © Jacquelyn Martin/AP

Weil die US-Konjunktur Lokomotiv-Funktion hat, wäre ein Zahlungsausfall auch Gift für Europa und den Rest der Welt. Vor allem dann, wenn das Vertrauen in US-Staatsanleihen erschüttert würde. Weltweit könnte es zu Panik-Verkäufen kommen, die national zu radikalen Ausgabenkürzungen zwingen würden. Die Rolle des US-Dollar, der für 60 Prozent der globalen Währungsreserven steht, würde geschwächt.

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Rating-Agenturen würden, wie dies bereits 2011 kurzzeitig geschehen ist, die Kreditwürdigkeit Amerikas herabstufen. Durch die enge Verflechtung in der internationalen Wirtschaft wären auch deutsche Exportfirmen betroffen. Sie würden weniger Produkte „made in Germany“ jenseits des großen Teiches absetzen. Experten des Internationalen Währungsfonds warnen bereits vorsichtig vor einem „Dominoeffekt“ für die gesamte Weltwirtschaft.

140 Firmen-Bosse machen Druck auf die beiden Parteien

Vor seiner Abreise zum G7-Gipfel hat Präsident Joe Biden eine hochkarätige Verhandlungsgruppe autorisiert, mit dem republikanischen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, bis zu seiner Rückkehr die Eckpunkte für eine Einigung zu erarbeiten. Anders als viele seiner Vorgänger muss McCarthy die Maximalforderungen von Extremisten in den eigenen Reihen berücksichtigen. Andernfalls fehlen ihm die nötigen Stimmen für einen Kompromiss.

Die Bosse von 140 Großunternehmen vom Pharma-Riesen Pfizer bis zu Banken wie Morgan Stanley machen in einem Brief an den Kongress Druck: „Wir dringen mit Nachdruck auf eine schnelle Einigung, damit das Land dieses potenziell verheerende Szenario verhindern kann.“