Gera. Für die Fraktionsvorsitzende im Geraer Stadtrat ist die Ausschussgemeinschaft keine Notlösung.

Am 24. Juli 2018 gründete sich die Wählervereinigung Für Gera e.V. mit damals elf Mitgliedern. An ihre Spitze wurde Sandra Graupner gewählt. Damals war sie noch Stadtratsmitglied für die Fraktion Liberale Allianz. Nach der Wahl am 26. Mai leitet sie jetzt eine eigene Fraktion mit drei Mitgliedern.

Vor einem Jahr hat sich die Wählervereinigung Für Gera gegründet. Wie viele Mitstreiter zählen sie jetzt?

Es sind 29. Nach der Wahl hatten wir zwei Neuaufnahmen. Der Großteil kam gleich nach der Gründung zu uns. Direkt aus der Bevölkerung besteht viel Interesse, aber die Mitgliedschaft ist eine Hürde. Wir wollten im ersten Jahr 50 werden. Das haben wir nicht geschafft. Aber wir arbeiten daran und wollen den Schwung der Wahl mitnehmen.

Sie hatten viel vor. Mit 30 Kandidaten wollten Sie in den Wahlkampf ziehen und mit einer starken Fraktion dafür sorgen, dass die Streitigkeiten im Stadtrat beendet werden. Angetreten sind 17, gewählt wurden drei.

Wir waren zu unbekannt. Es gibt nur einen begrenzten Kreis an politisch Engagierten in der Stadt und der hat sich aufgeteilt. Es gab noch nie so viele politische Gruppierungen zu einer Wahl. Anfangs haben wir noch gedacht, eine bürgerliche Einheit zu formen. Wir hofften, eine parteilose bürgerliche Mitte bei uns zu einen, dann wären weit über 30 Kandidaten möglich gewesen. Unsere, die Listen der Bürgerschaft, der Freien Wähler und der Liberalen Allianz umfassten zusammen weit mehr als die mögliche Sitzzahl von 42. Wir haben mit fast allen Protagonisten vor der Wahl gesprochen, eine gemeinsame Liste war leider nicht möglich.

Warum kam diese bürgerliche Mitte nicht zustande?

Einige sahen in uns als neue Wählervereinigung ein Risiko. Die entscheidenden Protagonisten wollten lieber in ihrem kleinen Königreich König bleiben, statt sich in einem großen Ganzen einzubringen, glaube ich. Jeder hat gedacht, er muss sich hinten anstellen. Aber ich denke, das kann man nach der Wahl korrigieren. Unser Ziel bleibt es, diese Einheit zu schaffen. Der erste Schritt ist getan.

Dazu später. Wie haben Sie den Wahlkampf erlebt?

Für uns hat er schon mit der Gründung unserer Vereinigung begonnen. Wir haben nicht alles neu gemacht, sondern auch viele Flyer und Plakate gedruckt. Die ersten hingen schon vor dem offiziellen Plakatierungsbeginn. Auffallend war, dass wir als neue Kraft kaum Gegenangriffe erlebten, was die Themen betraf. Viele haben uns Respekt gezollt. Parteien wie die Grünen und die SPD, die zudem noch im Europawahlkampf standen, haben wir bei den Wählerstimmen hinter uns gelassen.

Für den politischen Britwoch, zu dem Brit Heinig einlud, hätten wir uns gewünscht, dass der noch besser ankommt. Dort entstand die Idee, statt für die Bewirtung zu bezahlen, für die Kindervereinigung Gera zu sammeln. Kinder bastelten uns eine Spendenbox, die auch an den wöchentlichen Infoständen dabei war. 432 Euro landeten darin. Die neuen Stadtratsmitglieder haben den Betrag auf 500 Euro aufgestockt und zum Kinderfest an die Kindervereinigung übergeben. In den Ferien wollte der Verein davon in den Freizeitpark Belantis fahren.

Neu, einig, unverbraucht stand auf Ihren Plakaten. Wie wollen Sie als Fraktion mit drei Mitgliedern Akzente setzen?

Deshalb haben wir nach der Wahl früh versucht, einige der Einzelkämpfer wie Falk Nerger (FDP) und Bernd Müller (Liberale Allianz) einzubinden. Es gab nicht so viele Optionen, nachdem Grüne und SPD ihre Aussschussgemeinschaft bekannt gegeben hatten. Mit der Bürgerschaft haben wir auf Augenhöhe verhandelt und unsere Gemeinschaft nicht nur per Handschlag besiegelt, sondern eine schriftliche Vereinbarung formuliert.

Ist das dieser erste Schritt zur bürgerlichen Einheit, von dem Sie sprachen?

Das sehe ich so. Wir setzen darauf, dass diese Ausschussgemeinschaft fünf Jahre hält. Auch die Wahlprogramme beider Wählervereinigungen haben viele Schnittmengen. Im Moment ist es für eine gemeinsame Fraktion aber noch zu früh. Festgeschrieben haben wir, dass wir die Ausschüsse paritätisch besetzen, sich beide Fraktionen einmal im Monat zu einer gemeinsamen Sitzung treffen, keine Zwänge für das Abstimmungsverhalten existieren und zunächst beide Fraktionen eigenständig bleiben. Wir haben deutlich gemacht, dass wir in der Sache mit allen politischen Kräften, auch der AfD, zusammenarbeiten. Letzteres haben wir als einzige Kraft nie ausgeschlossen.

Ist diese Gemeinschaft nicht eher eine Notlösung?

Wir hätten trotzdem in jeden Ausschuss gehen können als beratende Mitglieder. Nein, eine Notlösung ist es nicht. Mit Ulrich Porst kann ich selbst gut zusammenarbeiten. Diese Gemeinschaft hat auch ihren Charme. Wir hätten mit drei Leuten sechs Ausschüsse besetzen müssen. So können wir die Kompetenzen gut verteilen. Die Bürgerschaft hat nie aus der Position des Stärkeren mit uns verhandelt. Es ist ein gutes Miteinander. Dieses Gefühl habe ich im neuen Stadtrat auch gerade.

Sie sind die einzige der drei mit Stadtratserfahrungen. Schwächt das Ihre Fraktion?

Nein, das glaube ich nicht. Weitere Erfahrungen bringt die Bürgerschaft ein, die mit drei gestandenen Stadträten einzog. Wir profitieren natürlich von unseren Neuen. Sie denken Themen neu und schauen noch nicht durch die Politikerbrille. Brit Heinig ist sehr unkonventionell und kreativ. Ralf Kirchner ist in Lusan beheimatet und bringt einen engen Draht zu Geraern mit. Das sind Kompetenzen, die wir gut nutzen können.

In welchen Ausschüssen arbeitet Ihre Fraktion innerhalb der Gemeinschaft?

Ich wollte wieder in den Haushalt- und Finanzausschuss, um weiter den Prozess der Haushaltplanung zu begleiten. Frau Heinig wurde in den Rechnungsprüfungsausschuss gewählt und im Wirtschaftsausschuss ist sie Stellvertreterin von Ulrich Porst. Dafür, dass es einen extra Kultur- und Sportausschuss gibt und die Bildung von ihm getrennt wird, habe ich mich bereits in der letzten Legislatur eingesetzt. Denn bislang dominierte die Bildung im Großausschuss. Kultur und Sport sind für die Identität unserer Stadt wichtig. Jetzt bin ich in diesem Ausschuss auch noch Vorsitzende geworden und möchte dort einiges bewegen.

Wurden Sie davon überrascht?

Es war zumindest nicht mein Plan. Meine Hauptkompetenz liegt beim Sport. Ich war Spielerin, Trainerin und Vorstandsmitglied im Handball. Heute bin ich noch im Förderverein des Museums für Naturkunde, in der Gesellschaft von Freunden der Naturwissenschaften. Im kulturellen Bereich setze ich auf meine Stellvertreter, die eher dort beheimatet sind. Das passt bei Burkhard Schlothauer (Grüne) und Reinhard Etzrodt (AfD). Ich freue mich über das Vertrauen, in meiner zweiten Legislatur für diese Aufgabe gewählt worden zu sein. Viele Themen sind zu kurz gekommen. Beispielsweise gibt es weder in der Museumslandschaft noch im kulturellen Bereich eine Gesamtkonzeption. Um das zu stemmen, habe ich auch den Vorsitz der Wählervereinigung abgegeben.

Mit eigens gegründeten Teams wollten Sie für fachliche Kompetenzs im Hintergrund der Stadtrats-Arbeit sorgen. Gibt es diese Teams noch?

Sogar fünf, nachdem wir anfänglich nur vier geplant hatten. Team Nachbarn, Gera produktiv, Junges Gera, Kunst, Kultur, Sport sowie Blaulicht, also Ordnung und Sicherheit. Die Idee dahinter ist, die Beschlussentwürfe für den Stadtrat zur Beratung in die Teams zu geben, um dort Recherche betreiben zu können oder dass die Teams eigene Ideen der Mitglieder prüfen und eigene Anträge oder auch Anfragen vorbereiten. Das soll ein regelmäßiger Hin- und Her-Fluss zwischen Teams und Stadtratsmitgliedern sein, weil es nicht geht, mit drei Leuten Themen umfänglich und kompetent zu bearbeiten. Außerdem wollen wir die Bindung zu unserer Basis nicht verlieren.

Wird es den Politischen Britwoch aus Wahlkampfzeiten weiter geben?

Ja, der nächste ist am 31. Juli. Der wird ausnahmsweise nichtöffentlich sein, weil wir dann den Oberbürgermeister zu Gast haben und ihn auf seine Wahlversprechen und Pläne ansprechen und auch fragen wollen, wo er unsere Unterstützung sieht. Dann findet der Treff einmal im Monat statt, nicht wöchentlich, wie vor der Wahl. Meist in der Vorwoche vor der Stadtratssitzung.

Zur Sondersitzung am 27. Juni beantragten Sie die namentliche Abstimmung als es um den Verkauf von bis zu 19,1 Prozent der städtischen Anteile an der Wohnungsbaugesellschaft GWB Elstertal ging. Warum stimmten Sie und Brit Heinig dagegen und enthielt sich Ralf Kirchner?

Weil die Vorlage am Tag der Sitzung derart geändert wurde, dass nicht mehr sicher war, wie viel Prozent es sind und wie hoch der Erlös ist. Der soll, auch das erfuhren wir erst an jenem Donnerstag, vorwiegend für die Sanierung des Kultur- und Kongresszentrums verwendet werden. Uns lagen weder der Gesellschafter- noch der Kaufvertrag vor. Und es stand auch nicht mehr im Beschlusstext, dass die städtischen Anteile analog jener Anteile bewertet werden sollen, die Benson Elliot jetzt an das Land verkauft hat. Die Mehrheit des Stadtrates hat dem Land ein weißes Blatt unterschrieben. Es weiß niemand, was macht das Land nach einem möglichen Regierungswechsel mit unseren Anteilen. Die Opposition dort war bisher gegen diesen Kauf. Für die namentliche Abstimmung war ich auch, weil ich erreichen wollte, dass Bürger uns nach den Gründen dafür fragen. Das ist wirklich passiert.

Seit 2014 sind Sie Mitglied im Stadtrat. Jetzt sind Sie unter neuen Vorzeichen in die zweite Legislatur gestartet. Was wollen Sie anders machen?

Die Arbeit soll transparenter werden. Deshalb gibt es beispielsweise unsere Teams. Ich denke nicht so: Meine Fraktion ist das Nonplusultra. Ich bin für ein Miteinander im Stadtrat. Engen Kontakt habe ich zur CDU-Fraktion, auch wenn ich von dort komme. Den Vorsitz unserer Wählervereinigung habe ich an Sven Rothe abgegeben. So besteht für mich nicht die Gefahr, alles mit mir selbst auszumachen. Vorsitzende vergessen oft den Rest. Das soll mir nicht passieren.

Zur Person

Die 42-Jährige arbeitet als Diplomverwaltungsangestellte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Sie wohnt in Gera-Trebnitz und ist ledig. 2014 wurde sie für die CDU in den Stadtrat gewählt. Sie trat 2016 aus dieser Partei aus. Im Februar 2016 wurde sie Mitglied der Fraktion Liberale Allianz und war dort stellvertretende Fraktionsvorsitzende.