Gera. Im Interview Bernd Krüger aus Gera unterstützt von Anfang an das Slivener Projekt „Musik statt Straße“ und ist jetzt Gastgeber

Nächste Woche bekommt Gera Besuch von 16 jungen Bulgaren. Sie erhalten Musikunterricht im sozialen Projekt „Musik statt Straße“ in der Geraer Partnerstadt Sliven. Seit zehn Jahren gibt es dieses Angebot für Kinder. Von Anfang an unterstützt es der Geraer Bernd Krüger, der jetzt auch den Besuch organisiert. Wir sprachen mit ihm.

Der Besuch in Deutschland ist der Höhepunkt im zehnten Jahr des Bestehens von „Musik statt Straße“ in Sliven. Wie kamen Sie als Unterstützer dazu?

Das ist eine niedliche Geschichte. Es war 2008, die Zeit, in der die Geraer Karin und Joachim Lange von Gera nach Bulgarien zogen. Als wir sie am Schwarzen Meer besuchten, erzählten sie uns von dem Geiger Georgi Kalaidjiev, der 1993 nach Gießen ausgewandert war und trotzdem in seiner Heimatstadt Sliven Kindern musikalische Ausbildung ermöglichen wollte. ‚Du bist doch Stadtratsmitglied und Gera seit 1967 Partnerstadt, da müsst ihr euch was einfallen lassen,‘ haben Langes gesagt. Das habe ich sofort verinnerlicht.

Worin bestand die Idee des Projektes?

Georgi, Jahrgang 1947, stammt aus dem Stadtteil Nadeshda, der vielleicht so groß wie Geras historisches Zentrum ist und in dem bis zu 25.000 Menschen türkischer, griechischer und bulgarischer Herkunft leben. Viele von ihnen gehören zur Volksgruppe der Roma. In dem Ghetto, wie es die Slivener nennen, wachsen Kinder ohne Perspektive auf. Er, der früher im weltberühmten Sofioter Kammerorchester musizierte, ist dort respektiert und geachtet und möchte sich um Straßenkinder kümmern. Die Idee zu Musik statt Straße war nie nur als Freizeitangebot geplant. Von Anfang an war sie so gedacht, dass Kinder damit und mit der umfassenden Unterstützung für jedes Kind mit Essen, Nachhilfe, Kleidung, medizinischer Versorgung und Feuerholz eine Perspektive und einen Ausweg aus dieser elenden Situation ermöglicht bekommen.

Wie viele Kinder wurden in den zehn Jahren betreut?

In den zehn Jahren waren es fast 300 Kinder. Gleichzeitig sind es jeweils 30. Die klassische Musik öffnet den Kindern Türen in eine bessere Welt. Ein Junge aus der ersten Schülergeneration hat jetzt sein Hochschulstudium abgeschlossen und arbeitet in Plovdiv. Er hatte zwei Angebote in Sliven, hat sie aber der Liebe wegen ausgeschlagen. Zur Zeit sind sechs Kinder auf weiterführenden Schulen wie Konservatorium oder Hochschule. Zwei haben diese abgeschlossen.

Wie musikalisch sind Sie?

Das ist eine gute Frage. Am Freitag hat ein Neffe geheiratet und ich sollte eine Rede über unsere musikalische Familie halten. Ich hätte mir selbst ein Ausbildung gewünscht. Doch wir waren sechs Geschwister und da war das einfach nicht möglich. Ich habe heute ein Konzertanrecht und interessiere mich vielseitig. Meine Frau spielt Klavier, Gitarre, Trompete und im Konzertchor hat sie auch mal gesungen. Mein jüngstes Enkelkind lernt jetzt Klavier.

Zu ihrem 70. Geburtstag haben Sie für das Slivener Projekt gesammelt. Was wird aus dem Geld?

Ich habe zu jedem Geburtstag und auch zu unserer Silberhochzeit gesammelt aber das nie zusammen gerechnet. Vom 70. weiß ich nur noch, dass es 1700 Euro waren. Da war ich stolz drauf. Das Spendenkonto verwalten Georgi und seine Lebensgefährtin Maria Hauschild. Es half, den Probenraum zu bezahlen, den Georgi auf der Garage seiner Schwester bauen ließ und ermöglicht kleine Honorare für die Lehrkräfte. Radka Kuseva, die bisher im Slivener Orchester musizierte, leitet den Unterricht und bewältigt ihn mit Musiklehrern und Orchestermusikern.

Gibt es regelmäßige Unterstützung aus Gera?

Ein Mitglied der Geraer Theatergesellschaft fragte mich kürzlich, ob das Konto noch stimmt. 1000 Euro hat die Dame überwiesen und sich über den Dankesbrief von Georgi und Maria gefreut, wie sie mir erzählte.

Sie sind Gera-Botschafter.

Ich weiß gar nicht, wie ich zu der Ehre kam als ich anlässlich der Geraer 777-Jahr-Feier in der Runde der Städtepartner berufen wurde. Doch ich verstehe mich im Wortsinn als Botschafter in unserer Partnerstadt.

Wie nennt man Sie in Sliven?

Das weiß ich gar nicht. Bürgermeister Dannenberg sieht mich als Türöffner. Ich stehe mit Svetomir Mintchev vom Bereich Städtepartnerschaften der Stadt Sliven in Kontakt. Ich habe versucht, weitere Beziehungen zwischen Gera und Sliven anzuschieben und beispielsweise einen Brief vom Intendant Kay Kuntze an die dortige Intendantin weitergegeben. Sie war begeistert. Aber es gab seitdem keine Reaktion.

Es ist das vierte Mal, dass Kinder von Musik statt Straße nach Gera kommen, wer hatte die Idee für diese Einladung?

Die Idee entsprang grundsätzlich dem Ehrgeiz von Georgi. Er will, dass die Kinder nach Gießen kommen, eine andere Welt kennenlernen und rauskommen aus dem Leben, in dem es 80 Prozent Arbeitslosigkeit gibt. Zugleich können sie den Menschen in Deutschland, die das Projekt finanziell, materiell und vor allem moralisch unterstützen zeigen, dass die Hilfe wirklich angekommen ist.

Und ich habe gesagt, es kann nicht sein, dass sie nach Deutschland kommen und an der Partnerstadt vorbeifahren. Ich bin stolz darauf, dass uns die Einladung wieder gelungen ist. Etwa die Hälfte der Mädchen und Jungen war schon einmal in Gera.

Was ist von Montag bis Donnerstag geplant?

Das öffentliche Konzert am Donnerstag, um 17 Uhr, im Rathaussaal mit Georgi als musikalischer Leiter wird für mich der Höhepunkt. Ich hoffe, dass der Saal voll wird. Dafür engagiert sich auch Saskia Schultheiß. Und Charlotte Polichronov aus Gera wird oft bei den Kindern sein. Die Gäste werden im Schullandheim in Seelingstädt wohnen. Trotz Schließtag besuchen sie das Stadtmuseum, Kochen im Kochstudio am Markt und sind zum Abendessen bei der Feuerwehr eingeladen. Eine Theaterbesichtigung ist geplant und kleine Konzerte am Mittwoch um 17 Uhr in der Musikschule und um 18.30 Uhr beim Verein Ja für Gera im Steinweg. Lustig wird bestimmt auch die Tanzstunde bei Katja Paunack.

Im Mittelpunkt steht das Konzert am Donnerstag im Rathaussaal. Haben Sie schon die Werbetrommel geschlagen?

Natürlich. Als ehemaliges Stadtratsmitglied lade ich alle Stadtratsmitglieder ein. Außerdem haben wir in Läden gefragt, ob unsere Plakate aufgehängt werden können.

Im Februar fand ein Benefizkonzert in der Musikschule statt, um den Aufenthalt zu finanzieren. Wer unterstützt ihn außerdem?

Die Stadt und die Feuerwehr. Dadurch, dass sie und andere einen Teil des Programms übernehmen oder nicht den vollen Preis fordern. Von der Wohnungsbaugenossenschaft Aufbau bekommt jedes Kind ein Taschengeld, meine alte Fraktion spendete schon im Frühjahr 500 Euro und die Sparkassenstiftung finanziert die Übernachtung. Der Aufenthalt ist finanziell abgesichert.

Worauf freuen Sie sich ?

Erst einmal auf das Wiedersehen. Am meisten hoffe ich, dass auch in den nächsten Jahren solche Besuche möglich sind. Dann bin ich nur einfacher Rentner. Als Stadtratsmitglied hatte ich schon andere Möglichkeiten. Aber ich werde weiter unter Freunden werben und mit der Familie spenden.

Wann sind Sie das nächste Mal in Sliven?

Dieses Jahr wird es wohl nichts mehr. Ein bedeutender Anlass, der Dimitar-Tag, wird in Sliven im Oktober gefeiert, doch da haben wir noch keine Einladung. Wir erwarten eine Delegation zum Höhlerfest. Ich bin in Sorge um die Städtepartnerschaft. Hoffentlich findet sich jemand, der sich mit Herzblut um die Fortsetzung kümmert. Es ist schade, dass Städtepartnerschaften absterben, mit dem Billigargument, dass wir kein Geld haben.

Es gib einige gute Beispiele, wie Städtepartnerschaften gelebt werden, ohne zuerst nach dem Haushalt zu fragen, wie zum Beispiel jene mit Pskow, Rostow, Skierniewice und Arnhem.

Konzert bei freiem Eintritt, Donnerstag, 22. August, 17 Uhr, Rathaussaal Gera, Kornmarkt, 07545 Gera