Erinnerungskultur

Neue Stolpersteine in Gera und erstmals in Ronneburg verlegt

Elke Lier
| Lesedauer: 5 Minuten
Am Donnerstag wurden erstmals drei Stolpersteine vor der ehemaligen Kammgarnspinnerei Clad in der Brunnenstraße 2 in Ronneburg verlegt. Stolperstein-Initiator Gunter Demnig (rechts) bei der Arbeit.

Am Donnerstag wurden erstmals drei Stolpersteine vor der ehemaligen Kammgarnspinnerei Clad in der Brunnenstraße 2 in Ronneburg verlegt. Stolperstein-Initiator Gunter Demnig (rechts) bei der Arbeit.

Foto: Peter Michaelis

Gera/Ronneburg.  Gemeinsam gegen das Vergessen: Im Gedenken an die jüdischen Opfer wurden in Gera 11 und in Ronneburg drei der Gedenksteine verlegt.

Vierzehn jüdische Schicksale wurden vergangene Woche namentlich auf messingblanken Stolpersteinen in die Gegenwart geholt. Der Initiator dieser Art der Erinnerung, Gunter Demnig, verlegte sie. Mit elf neuen Stolpersteinen in Gera erhöhte sich deren Zahl auf 93 in der Stadt. Erstmalig erhielt auch die Stadt Ronneburg drei Erinnerungssteine.

Am 29. Dezember wird der 72-jährige Künstler Demnig in Memmingen den 45.000. Stolperstein in die Erde klopfen. Diese Zeichen setzte er in 26 Ländern europaweit. „Wenn nur noch wenige überlebende Zeitzeugen von ihrem Elend unter den Faschisten berichten können, ist das der beste Geschichtsunterricht. Sechs Millionen ermordete Juden – das ist für Schüler und Nachgeborene eine unfassbar anonyme Zahl. Aber wenn die Steine verlegt werden, hören sie erschütternde Lebensgeschichten mit Flucht, Lagerhaft und Tod von Menschen ihrer Heimat. Das bleibt haften.“ Auf die Frage, wie lange er noch arbeiten wolle, antwortet er: „Solange es geht, notfalls mit Rollator und eingebautem Hammer.“

Der 15-jährige Geraer Goethegymnasiast Yannick Albert war als Schülerzeitungsreporter bei der Steinverlegung dabei: „Im Geschichtsunterricht behandeln wir den Zweiten Weltkrieg. Mit diesem Erlebnis wird vieles verständlicher für mich.“ In der einstigen Geraer Mittelschule am Nicolaiberg 6, heute Goethegymnasium, unterrichtete ab 1932 der promovierte Studienrat Walter Spiegel. 1933 wurde mit der Wiederherstellung des Berufsbeamtentums das Berufsverbot des jüdischen Pädagogen besiegelt. Von Kollegen denunziert, wurde er im Herbst 1933 in den Ruhestand versetzt, durfte als Hauslehrer nicht mehr unterrichten, verarmte zusehends. Spiegel wurde zwangsausgebürgert. Nach über einem Monat in Buchenwald gelang ihm die Überfahrt in die USA. Nie wieder fand er eine Anstellung als Lehrer.

Der Geraer Matthias Weibrecht führt mit Unterstützung des Interkulturellen Vereins und anderer Mitstreiter die 2008 in Gera begonnene Stolperstein-Aktion fort. Er forscht im Auftrag von Angehörigen nach den Schicksalen jüdischer Opfer aus Gera und Umgebung. Geras Bürgermeister Kurt Dannenberg (CDU) zitierte anlässlich der 10. Stolpersteinaktion aus dem Talmud: „Der Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Und so wurden neben Walter Spiegel weitere Namen sichtbar. Die der Familie Sommerfeld in der Hußstraße 1. Ruth Sommerfeld entkam als Elfjährige 1939 mit einem Kindertransport nach England. Ihre Mutter Paula Sommerfeld sah sie nie wieder. Die starb 1941 auf dem Weg ins Ghetto Wilna. In der Bauvereinstraße 4 wurde der Familie Wernik gedacht. Das ostjüdische Ehepaar David und Klara Wernik lebte 20 Jahre in Gera mit den Kindern Max und Charlotte. David wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Mutter und Tochter im gleichen Jahr an einem unbekannten Tag und Ort. Max wurde Soldat der Roten Armee. Bei Familie Derbuel, in der Berliner Straße 136 beheimatet, waren Großmutter, Mutter Alice und Tochter Fernande Jüdinnen. Der katholische Ehemann, Kompressorenfabrikant Victor Derbuel stand zu seiner Frau Alice. Vor dem Deportationsbefehl nach Theresienstadt wurden die drei Frauen 1944 gewarnt und tauchten mit Hilfe der loyalen Belegschaft unter. Victor überlebte ein Arbeitslager.

Denkwürdiges Familientreffenin Ronneburg

Erstmals wurden in Ronneburg drei Stolpersteine ins Pflaster der Brunnenstraße 2, vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Hirschberg eingelassen. Sie erinnern an Maria Hirschberg, die sich als junge Frau der Zwangssterilisation durch die Nazis verzweifelt durch Selbstmord entzog. Die Vormundschaft über die minderjährigen Söhne Rudolf und Ferdinand übernahm deren Onkel, Werner Clad. Rudolf Hirschberg wagte die Flucht in die Schweiz, durchschwamm den Rhein. In der Schweiz wurde er festgenommen und der Gestapo übergeben, kam 1942 nach Buchenwald und dann nach Auschwitz. Drei Tage später starb er dort mit nur 22 Jahren. Ferdinand konnte dank seines Onkels lange auf Bauernhöfen untertauchen, überlebte ein Arbeitslager. Seine Tochter Coletta aus Köln entdeckte nach seinem Tod 2017 eine „persönliche Kiste, wo mein Vater sein Leben dokumentierte“. Sie berichtet davon Karla Saupe, der Cousine ihres Vaters. Die 84-jährige Ronneburgerin wusste von den Stolpersteinen. Die Familie suchte Kontakte und fand Matthias Weibrecht aus Gera. „Ohne ihn wären wir acht Familienangehörigen aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland- Pfalz und Thüringen niemals zu dieser Gedenkstunde zusammen gekommen“, würdigt Coletta Mattern Weibrechts Recherche und Organisation.

Ihre Schwester Cosima versteckt die Tränen nicht. „Die tragischen Lebensläufe unserer Großmutter, unseres Vaters und unseres ermordeten Onkels dürfen nie vergessen werden. Heute sind wir alle aufgewühlt, doch es war ein guter Tag für die Familie.“ Das jüngste anwesende Familienmitglied, der 19-jährige Maximilian erzählt von einer aktiven Neonazigemeinschaft in der Nähe seines Heimatortes. „Wie gefährlich die sind, beweist mir unsere Familiengeschichte.“ Zwei Töchter von Werner Clad, dem mutigen Vormund der Hirschberg-Brüder, sagen: „Es ist uns erst richtig bewusst geworden, was unser Vater auf sich nahm, als er für die beiden sorgte, dem einen das Leben rettete.“

Die Ronneburger Turmbläser spielen zum stillen Gedenken an eine unheilvolle Zeit und ihre Opfer. Matthias Weibrecht mahnte: „Achten Sie auf Ihre Stolpersteine!“

Für weitere Stolpersteine wird um Spenden gebeten. Kontakt und Infos: www.stolpersteine-gera.de