Jena. „Airtramp“ deckt den ambivalenten 9. 11. doppelt ab: als in der DDR verbotene Underground-Band und als Teilnehmer beim „Klang der Stolpersteine“.

Ein Kreis schließt sich am heutigen Freitag. „Airtramp“ war in der DDR eine wahre Untergrund-Band und von den Machthabern in Jena geächtet. Nach dem Auftrittsverbot gaben die Jenaer Musiker im Januar 1987 in der Friedenskirche ihr Abschiedskonzert, und heute, am Vorabend des 30. Jahrestages der Maueröffnung, ist die Band ab 20 Uhr wieder zu erleben – in der Friedenskirche (Eintritt frei). Ebenso hat sich „Airtramp“ dem Kurzkonzert-Projekt „Klang der Stolpersteine“ angeschlossen, das am morgigen Jahrestag der so genannten Reichskristallnacht wieder dem Gedenken an die Jenaer Opfer des Nationalsozialismus gewidmet ist. „Airtramp“ musiziert am Haus Forstweg 1; 40 weitere Formationen sind an 40 anderen Orten zu erleben. Im Haus Forstweg 1 lebte Hugo Schrade, der spätere Generaldirektor der Firma Carl Zeiss, mit seiner jüdischen Ehefrau Erna. Sie wurde durch Nachbarn denunziert und deportiert; Hugo Schrade kam ins Arbeitslager.

Melodischer, textsicherer

„Airtramp“ – 1983 innerhalb des Projekts „Offene Arbeit“ der Jungen Gemeinde (JG) Stadtmitte gegründet – lebe heute eher vom „temporären Zusammenkommen“, so berichten die Mitbegründet Olli Jahn (53) und Peter Mühlfriedel (54), die 1987 aus der DDR ausreisten, aber schon lange wieder in Jena leben. „Wir laufen noch mal wie ein Dino über die Wiese“, sagt Jahn, der mit mehreren Band-Projekten verbandelt ist. „Wir sind heute aber melodischer, sind organisierter – und vergessen die Texte nicht mehr so.“

Viel Zeit zum Üben im Waschkeller

In den 80er Jahren bewohnten die „Airtramper“ als Hausbesetzer die „Autonome Republik Zwätzengasse 7“ und verfügten nur noch über den für politisch Untragbare vorgesehenen DDR-Ausweis PM 12. „Da hatten wir viel Zeit zum Üben im Waschkeller der JG“, sagt Jahn. „Es hörten viele Leute zu. Viele Frauen. Und wir waren extrem produktiv. 71 eigene Songs.“ Eher bedrückend ist es für Jahn und Mühlfriedel, dass die „Airtramp“-Songs von damals aktuell geblieben scheinen. Beispiel: das vertonte Erich-Kästner-Gedicht „Kennst du das Land, wo Kanonen blühen?“ Er denke angesichts von Leuten wie Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz immer „an Freicorps-Typen aus den 20er Jahren, die alles niedermachten, was nicht ihrer Meinung entsprach“, sagt Mühlfriedel. Kämen die Rechten von heute an die Macht, würden sie gewiss die Aufrüstungs- und Kriegskarte ziehen. „Davon reden sie nur noch nicht.“

Wider die einfachen Antworten

Olli Jahn treibt es gewaltig um, dass „plötzlich Ideologen da sind, die einfache Antworten haben zu komplexen Problemen, die schwer zu lösen sind“. Und auf diese einfachen Anworten würden sich viele Leute draufstürzen. Nein, es gebe keine Garantie, „immer im Land der Glückseligen“ zu leben. Deshalb gelte es, sich zu positionieren und im demokratischen Miteinander zu üben. Und ja, da sei ein Wurm in den Köpfen drin. Woher rühre es denn, dass auf die Nachricht von einer Vergewaltigung automatisch gefragt werde, wo der Vergewaltiger herkomme? Wie sei die Unanständigkeit erklärbar, geflohenen Menschen nicht helfen zu wollen. „Dafür kann ich doch nichts, wenn in meiner Stadt Häuser zerbombt werden.“ Mühlfriedel berichtet, wie seinem Kollegen Jahn bei der Probe und den Diskussionen der Kragen geplatz sei: dass er mit einer Diktatur hinter sich nicht wieder eine Diktatur haben wolle. Und Mühlfriedel wendet sich Jahn im Zeitungsgespräch zu: „Das war gut, wie du das gebracht hast.“

Der Kreis schließt sich. Zu den alten „Airtramp“-Songs gehören etwa auch vertonte Gedichte von Bert Brecht, von Wolfgang Borchert und Erich Mühsam. Olli Jahn sagt: „Alles Mahner!“

Am Freitag, 8. November, 20 Uhr in der Friedenskirche: Konzert mit Airtramp„ Klang der Stolpersteine“ am Samstag, 9. November. 17 Uhr: Lampionumzug im Damenviertel, Marsch vom Holzmarkt zum Westbahnhof, 17.45 Uhr: Konzerte an 41 Orten in der Stadt, 18.15 Uhr: Ortsübergreifende Aufführung von „ Dos Kelbl“ , 18.20 Uhr: Umzug zum Westbahnhofvorplatz mit anschließender Gedenkveranstaltung, 20 Uhr: Abschluss auf dem Marktplatz.