Camburg. Der Camburger Pfarrer Michael Greßler versucht während der Corona-Krise, die Gläubigen digital zu erreichen. Er sieht darin auch eine Chance für die Kirche.

In schweren Zeiten sind kreative Wege notwendig. So gestaltet Pfarrer Michael Greßler, zuständig für 18 Kirchgemeinden im Pfarramt Camburg-Leislau, für jeden Sonntag einen Videogottesdienst, zu sehen in seinem Blog: www.kirche-camburg.jimdofree.com. Wir sprachen mit ihm über Seelsorge in Zeiten des Kontaktverbots, die digitale Kirche und die Osterfeiertage.

Seit zwei Wochen übertragen Sie Video-Gottesdienste ins Internet. Wie ist das für Sie, dabei in einer leeren Kirche zu stehen?

Ich habe Erfahrungen mit verschieden vollen Kirchen. Es ist also erst einmal gar nicht so ungewohnt, vor wenig gefülltem Raum zu sprechen. Außerdem sind noch zwei, drei Personen aus meiner Familie anwesend. Man predigt also nicht ganz ins Leere. Trotzdem: Es fehlen die Menschen, die sonst zum Gottesdienst kommen. Da gibt es dann schon ein völlig anderes Gefühl.

Wer ist noch mit in der Kirche? Die Organistin erkennt man.

Ja, die Organistin und meine Tochter, die die Kamera bedient und später den Film schneidet. Als Mediengestalterin ist sie sehr fit in dieser Angelegenheit.

Welche Botschaften geben Sie in Ihren Predigten weiter?

Ich halte mich immer an die Texte, die von der Kirche vorgesehen sind. Wichtig ist nicht, was ich den Menschen sagen will, sondern was die Bibelworte den Menschen sagen. Oder welche Botschaft ich in den Bibeltexten für die Menschen lese. Natürlich setzt man das in Beziehung zu diesen verrückten Zeiten. Ich möchte den Menschen Mut machen, sie trösten und ihnen sagen, dass Gott da ist.

Braucht der Mensch den Ort Kirche, um Beistand zu finden?

Das ist nicht zwingend notwendig. Viele Kolleginnen und Kollegen in Deutschland haben Projekte, um per Internet und Videobotschaft auf die Menschen zuzugehen. Sie sitzen auch zu Hause.

Welche Reaktionen erfahren Sie durch ihre Video-Gottesdienste?

Wir senden die Gottesdienste ja per Blog, da bekommt man nicht automatisch Rückmeldungen. Bei Facebook sehe ich es allerdings an den Gefällt-mir-Angaben und den Kommentaren. Nach dem ersten Video-Gottesdienst habe ich viele Rückmeldungen bekommen, auch über Whatsapp-Gruppen, per Telefon und per E-Mail. Es scheint, dass man mit so einem Videoformat die Menschen erreicht.

Suchen die Menschen jetzt verstärkt Beistand und Trost?

Ich habe nicht den Eindruck, dass momentan verstärkt Trost gesucht wird. Aber die Menschen sagen mir jetzt öfter: Danke, dass sie für uns da sind. Ich denke, das ist ein wichtiges Gefühl in der Zeit, in der man sich nicht physisch, sondern nur „virtuell“ treffen kann.

Sie müssen auch für Menschen da sein, die Angehörige verloren haben. Wie gehen Sie damit um?

Das ist schwierig, aber es geht nicht anders. Trauerfeiern sind jetzt nur noch im allerkleinsten Familienkreis erlaubt und nur im Freien und am Grab gestattet. Ich darf nicht für Trauergespräche zu den Menschen gehen, also schicken mir die Angehörigen einen schriftlichen Lebenslauf des Verstorbenen, in den ich mich einarbeite. Das Trauergespräch führe ich dann am Telefon. Es fehlt natürlich die persönliche Nähe und das Nonverbale.

Wie sieht sonst ihr Alltag aus?

Ich habe gut zu tun. Normalerweise besuche ich vormittags ältere Kirchenmitglieder, das fällt nun völlig weg. Stattdessen versuche ich, sie telefonisch zu erreichen. Die Arbeit am Schreibtisch bleibt natürlich dieselbe. Video-Gottesdienste muss ich genauso vorbereiten wie andere, ich arbeite an der Predigt, suche die Lieder heraus, treffe Absprachen. Dann müssen ein Manuskript und ein Drehbuch vorhanden sein, das macht richtig Arbeit. Man kann schon locker rechnen: Für mich und alle Beteiligten ist es ein Arbeitstag.

Zeigen denn die Video-Gottesdienste, auf die sie und andere Pfarrkollegen derzeit zurückgreifen, dass die Kirche in Zukunft digitaler denken muss?

Unbedingt. Da bin ich schon seit zehn Jahren dran. Und es bewegt sich auch sehr viel. Es gibt Kollegen, die in sozialen Netzwerken unterwegs sind und einen eigenen Blog im Internet betreiben. Und dann gibt es wieder Kollegen, denen ist das Internet völlig fremd, genau wie anderen Menschen in der Bevölkerung. Jetzt aber beginnt es, dass auch zum Beispiel von der Mitteldeutschen Kirche mehr im Internet angeboten wird. Seit sechs Jahren stelle ich meine Predigten aus den Sonntagsgottesdiensten auf meine Facebook-Seite stelle. Ich habe schon den Eindruck, dass ich dort andere und manchmal mehr erreiche als die, die im Gottesdienst sitzen. Aber das ist auch nicht schlimm. Kirche ist immer mit den Medien der Zeit gegangen. Wer weiß, was noch kommt, wenn ich alt bin.

Die kommenden Ostergottesdienste werden auch nicht in der Kirche abgehalten. Was wird das für ein Osterfest?

Es wird natürlich anders. Ich war nur einmal Ostern nicht in der Kirche, das war 1986, als ich bei den Bausoldaten und praktisch eingesperrt war. Am Gründonnerstag versuche ich einen Gottesdienst anzubieten, bei dem die Menschen vorher erfahren, was sie brauchen, um zu Hause am Küchentisch oder auf der Couch mit dem Pfarrer das Abendmahl zu feiern. Es wird sich zeigen, ob und wie das funktioniert. Da bin ich sehr entspannt und gespannt. Ich selbst werde ganz sicher in den Ostertagen auch mit Freunden „aus dem Internet“ geistlich verbunden sein.