Jena. Sportliche Betrachtungen von Michael Ulbrich zwischen den Spieltagen.

Es war nachts um drei als Justin Edinburgh ganz allein mit seinem Krug Bier auf der Tanzfläche des Jenaer F-Hauses schunkelte. Draußen wartete längst das herbeigerufene Taxi – ein letztes Lied noch, bitte. Sagte er und grinste. Na, gut. Dann waren wir zu zweit; aus den Boxen brummelte „Westerland“ von den Ärzten. Er verstand kein Wort und summte trotzdem mit. Und wo gehen wir jetzt hin? Fragte er. Ins Hotel, entgegnete ich. Morgen früh, nein: gleich um neun ist Training.

Und da stand er nun, pünktlich neun Uhr auf dem Trainingsplatz in Weimar, gab messerscharfe Kommandos an sein Team, an die Kicker von Newport County. Einen Kaugummi? Fragte er und grinste wieder. Ich schüttelte nur mit dem Kopf. Diesen Insulanern kann wirklich gar nichts etwas anhaben.

2013 war das – als die Waliser nach Jena reisten, um dann doch in Weimar gegen den FCC spielen zu müssen. Für Justin Edinburgh war dies mehr als ein bloßes Testspiel, das – wie schon 1981 im Europacup – 2:2 endete. Damit haben wir im Rückspiel die besseren Karten, bemerkte er und lachte. Abends im Hotel saß er in der Lobby und genoss sein Feierabendbier. Er schwärmte von der gemeinsamen Polonaise der Fans, von der freundschaftlichen Atmosphäre. Seine Spieler waren gerade beim Essen, als ich ihm erklärte, dass keiner der Jungs Jena zu Gesicht bekam. Das Hotel in Weimar, das Spiel von Jena in die Goethestadt verlegt. Edinburgh nickte: Draußen steht der Bus. Nimm sie alle mit. Nur zur Abfahrt morgen früh um neun sind sie alle wieder da. Das hat mich beeindruckt – und die Fußballer von Newport County erlebten eine tolle Partynacht in Jena. Als der Bus tags drauf beladen wurde, zählte er durch. Es seien ja wirklich alle wieder da. Justin Edinburghs Grinsen war nicht zu übersehen. Das hätte es zu seiner Zeit nicht gegeben. Als letzter stieg er in den Bus. Zum Abschied sagte er: Nächstes Jahr, das legen wir jetzt fest, kommt ihr zu uns.

Es hat dann tatsächlich nur das eine Jahr gedauert, ehe der FC Carl Zeiss zum Rückspiel in Newport antrat. Fast Zweitausend blau-gelb-weißer Schlachtenbummler machten sich auf den Weg nach Wales. Justin Edinburgh hatte Newport County zwischenzeitlich zum Aufstieg in die viertklassige League 2 geführt. Er ist Volksheld – und volksnah zugleich. Eine Persönlichkeit, die alle in seinen Bann zieht, wenn sie den Raum betritt.

Das Wiedersehen war herzlich. Das Trainerbüro ausgeschmückt mit Taktiktafeln, Bildschirmen und einem Wimpel des FCC. Er sei erleichtert, erklärte er mir, dass Lothar Kurbjuweit nun Trainer der Jenaer sei. Ich stutzte. Nun, so fuhr er fort, da könne er wenigstens keine Freistöße gegen seine Waliser schießen. Da war es wieder, dieses schelmische Grinsen des Justin Edinburgh. Und wahrhaftig: Im ausverkauften Spytty Park gewann Newport mit 1:0 – und drehte so das Resultat von 1981. Gleich nach dem Schlusspfiff lief er lachend zu mir, kriegte sich kaum wieder ein. Ja, so habe er den Fans eine späte Genugtuung verschafft. Und eine Bitte habe er: Wenn gleich die kleine Pressekonferenz ist, frage mich bitte nach der nächste Runde. Ich ahnte, was dann kommt. Ich fragte also nach der Bedeutung des Sieges – und nach der nächsten Runde. Seine Antwort: „Ich hoffe, dass wir nun Benfica Lissabon kriegen, hier zuhause den Grundstein für den Einzug ins Europacupfinale legen können.“ Sein Grinsen sprach Bände – und die Lacher hatte er auf seiner Seite.

Heute aber, fünf Jahre danach, weint nicht nur Newport County. Justin Edinburgh ist tot. Mit gerade 49 Jahren erlag er einem Herzinfarkt.

Er war mächtig stolz, weil ihn die Tottenham Hotspurs, für die er zehn Jahre spielte, zum Champions-League-Finale nach Madrid als Legende einfliegen ließen. Wenige Tage später lag er im Krankenhaus und kämpfte um sein Leben – bis er verlor. Der Schock sitzt tief im Königreich, wo er zuletzt Leyton Orient zurück in den Profibereich führte. Wo er war, hinterließ er nicht nur Spuren, sondern vor allem aber Eindruck. Als ein aufrichtiger, lebenslustiger Zeitgenosse. Als ein Gentleman.

David Ginola, früher französischer Nationalspieler, widmete seine Auszeichnung als Spieler des Jahres 1999 seinem ehemaligen Kameraden Justin Edinburgh, weil er ohne ihn den Award wohl nie gewonnen hätte. „Justin war ein Mensch, der einen Raum betrat und die Menschen zum Lachen brachte“, sagte Ginola. So werde man ihn in Erinnerung behalten – auch hier in Jena und Weimar ...

Rest in peace, Gaffer.