Jena. Das Kurztheaterspektakel auf dem Otto-Schott-Platz hat am Wochenende viele Menschen inspiriert

Was braucht man für eine gute Geschichte? So eine, die spannend ist und herzerwärmend, aber auch zum Lachen und vielleicht ein bisschen traurig oder zumindest nachdenklich macht? Einen Mann, eine Frau, zwei runde rote Nasen aus Schaumgummi und einen Luftballon. Und schon kann die Geschichte beginnen auf der kleinen Bühne mitten im Jenaer Forst.

Der Ballon wird zum Herz des Mannes, das ruhig schlägt, doch aus dem Takt kommt beim Anblick einer jungen Frau. Das Herzklopfen steigert sich mit jedem Schritt, den er ihr sich nähert, doch als sie ihn bemerkt, zieht er sich schüchtern zurück, auch sie wendet sich bescheiden ab. Doch das Herz treibt ihn weiter nach vorn, zu ihr hin. Und sie kann dem nicht widerstehen – und endlich nimmt sie mit einem schüchternen Lächeln den Ballon an, drückt ihn an ihr Herz und beide versenken selig ihre Blicke ineinander. Ende gut, alles gut – auf der kleinen Bühne mitten im Jenaer Forst. Das Publikum klatscht zufrieden.

Doch das Stück könnte auch eine andere Wendung nehmen. Die junge Clownessa könnte mit dem Herz-Ballon auch besitzergreifend davonrennen. Oder ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, an den nächsten Clown im Kreis weitergeben. An diesem Sonnabendvormittag gibt es auf den Bühnen mitten im Wald beim 10. Kurztheaterspektakel Jena kein Script für die Mini-Stücke, die da gegeben werden. An diesem Sonnabend ist alles denkbar und vieles möglich, es herrscht hier Werkstattatmosphäre.

Im Clowns-Workshop beispielsweise haben die Teilnehmer gelernt, dass man mit einem kleinen roten Ballon und einer noch kleineren roten Nase, ganz allein oder zu zweit, mit nur wenigen Gesten jede Menge Geschichten erzählen kann, die das leben nicht besser schreiben kann. Lena Binski, Schauspielerin, Pantomimin, Regisseurin aus Berlin hat als Lehrerin für zehn junge Damen und Herren ihren Zauberkasten der Schauspielerei geöffnet und ihnen gezeigt, was mit Pantomime, Improvisation und ein bisschen Schauspielerei alles möglich ist.

Genia zum Beispiel war davon angetan, hatte sie sich hier doch angemeldet, um „mal etwas Neues auszuprobieren, etwas Neues an sich selbst zu entdecken“. Als Clownessa, so denkt sie, könnte sie mal so richtig frech sein und hochemotional reagieren – so wie man es im richtigen Leben nicht einfach kann. „Hier kannst du selbst als Profi noch einiges lernen“, gesteht Carsten Felsche, der sich auch als Clown ausprobiert hat, aber sonst als Künstler im Kulturkombinat Neue Räume aktiv ist und mit dieser Künstlergruppe und der Freien Bühne Jena das Kurztheaterspektakel organisiert hat.

Schon zum zehnten Mal laden die Mitglieder der freien Theater- und Künstlerszene, die im alten Jenaer Schlachthof ein neues Domizil gefunden haben, das Sommerspektakel im Jenaer Forst organisiert. „Der Platz ist wie geschaffen für uns und dieses Festival, mitten in der Natur und etwas abgelegen, so dass man perfekt eintauchen kann in eine andere Welt“, sagt Jana Fischer von der Freien Bühne. Haben beim ersten Mal die Jenaer Theatergruppen sich mit dem Kurztheaterspektakel eine Bühne geschaffen, um ihre eigene Arbeit dem Publikum näher zu bringen, so ist das Festival mit den Jahren immer mehr gewachsen. „Diesmal sind 35 Gruppen dabei, neben den verschiedenen Jenaer Gruppen wie Theater Zink, Rababkomplott und „Sebastian ist krank“ sind es Straßentheater, Performer und Gruppen aus dem ganzen Bundesgebiet und sogar aus den Niederlanden und Italien“, berichtet Paul Josiger.

Sie machen die selten bespielte Konzertmuschel auf dem alten Schott-Festplatz, aber auch ein großes Zirkuszelt und kleine Bühnen im Wald zu Brettern, die die Welt bedeuten. Auch der alte Schausteller-Wagen der Freien Bühne, der wie neu und aus dem Ei gepellt an diesem Wochenende auf dem Schottplatz stand, wurde zum Mittelpunkt von Geschichten, die das Leben schreibt. So vom „Hinschauen und Wegsehen“ der Jenaer Theaterleute, oder beim Kinderfest am Sonntag „Vom Löwen und der Maus“, des Guck Mal Theaters.

„Mit dem Theaterwagen werden wir jetzt viel unterwegs sein, wo immer man Theater spielen kann und möchte“, sagte Paul Josiger . Möglich, dass hier auch bald neue Theaterstücke aufgeführt werden, solche, für die sich die Jenaer von ihren Mitspieler-Gästen Anregungen geholt haben. „Das ist ja das Ziel unseres Kurztheaterspektakels, dass man sich Inspirationen holt, schaut, wie andere ihre Ideen umsetzen und vielleicht gemeinsame Projekte anschiebt und umsetzt“, erklärte er.

In ganz anderer Sache haben die Jenaer Akteure schon von anderen gelernt: Das Gelände des alten Schlachthofs, wollen sie zu einem neuen Ort für Kultur und Begegnung machen, mit Theater, Rollsporthalle, Garten, Kultur- und Bildungsveranstaltungen und vielem mehr. Doch damit das alles richtig ins Rollen kommen kann, fehlt es an Wichtigem – an Strom, Wasser und Abwasserleitungen. Um die notwendigen Anschlüsse legen zu können, haben die Kulturschlachthof-Betreiber eine Crowdfunding-Aktion gestartet. Sie wollen das Geld durch private Spender und Unterstützer aufbringen, um Strom- und Abwasserleitungen legen zu können. 20.000 Euro werden dafür gebraucht, aktuell sind auf dem Spendenkonto 4220 Euro. Es fehlt also noch eine Menge. Doch, für eine gute Geschichte braucht man nicht viel: Ein paar Leute – auch ohne kleine rote Nase – die einige Euro für die Kultur statt den Konsum hergeben und dazu auch ein paar Freunde motivieren.