Jena. Eröffnungsspektakel der Jenaer Kulturarena „Hätte hätte Fahrradkette“ ist ein großer Sitcomspaß über kulturelle Klischees.

Noch bevor Said (Ahmad Al Harfi) und Aziz (Ramez Basheer) den Wohnwagen ihrer holländischen Gastgeber betreten, hat Said das dringende Bedürfnis, auf Toilette zu gehen. Aber in diesem winzigen Wohnanhänger fürchtet er, seine Gerüche könnten die freundliche Atmosphäre schnell vernebeln. Irgendwann fragt er doch nach der Toilette. Ein Thema, das Campingfan Pieter (Walter Bart) nur allzu gern aufgreift, um sein chemisches Klo zu präsentieren. Als er den Deckel des Fäkalientanks öffnet entströmen derart übelriechende Gerüche, das sich nun auch Said aufs Klo wagt. Als jedoch sein Freund Aziz um Wasser bittet, damit Said seinen Po reinigen könne, sind die kulturellen Barrieren, die man abbauen wollte, höher denn je.

Im Eröffnungsspektakel der Kulturarena „Hätte hätte Fahrradkette“ widmet sich das Jenaer Theaterhaus mit tollkühnem Humor und irrwitziger Story dem Thema Zuwanderung. Produzent Leon (Leon Pfannenmüller) hat die skurrile Idee, eine Comedyserie für den arabisch-muslimischen Markt zu produzieren. Die Sitcom soll das Leben von Syrern zeigen, die nach Europa geflüchtet sind.

Konkret geht‘s um Abdo (Bassam Dawood), der in einem Jenaer Fahrradladen arbeitet und Besuch vom syrischen Cousin und dessen Freund Aziz erhält, die die Flucht nach Holland verschlagen hat. Abdo, ein ehemals erfolgreicher Ingenieur, schämt sich, nur noch als Hilfsarbeiter tätig zu sein, und gibt sich als Chef aus, was zu wunderbaren Verwicklungen mit dem deutschen Besitzer führt. Denn der cholerische Hans (André Hinderlich) will die Gäste so schnell wie möglich loswerden, da sie Abdo von der Arbeit abhalten. Als sich dann auch noch Hans‘ Tochter Rebekka (Henrike Commichau) in Aziz verliebt, dreht der Papa völlig durch.

Aber nicht nur in der Serie liegen die Nerven blank. Auch das Filmteam reibt sich an Drehbuch und Unterfinanzierung auf. Szenen wie die Toilettenepisode stoßen Said-Darsteller Ahmad auf. Er fühlt sich zur Witzfigur degradiert und ist sich sicher, dass dieser Humor beim arabischen Publikum nicht ankommt. Das kann Produzent Leon nicht verstehen und liefert gleich noch eine kunsttheoretische Begründung: Die Serie spiele mit Verfremdung, mache Dinge größer und damit sichtbar. So ließen sich Stereotype und eindimensionales Denken überwinden.

Das holländische Theaterkollektiv Wunderbaum, das seit einem Jahr das Theaterhaus leitet, eröffnet mit dem Stück eine vieldimensionale Gedankenspirale und enttarnt kulturelle Überlegenheitsgefühle und Empa­thielosigkeit, die in Orient wie Okzident gepflegt werden. Einer der letzten Sätze lautet denn auch: Man sehe inzwischen oft, dass sich Leute im Westen radikalisierten. Wunderbare Steilvorlage für Vorurteile bietet zudem die Liebesgeschichte zwischen Rebekka und Aziz. Während Freund Said warnt, Rebekka sei eine Feministin, kann Aziz die freizügige Vergangenheit Rebekkas nur schwer verdauen. Obendrein sieht Vater Hans in Aziz einen IS-Kämpfer.

Das Spiel mit den verschiedenen Ebenen ist eine von vielen Stärken der Inszenierung. Brillant ist auch das Bühnenbild: Die pointierten Setszenerien wie Ladentheke und Campingarrangement schweben auf Rollpodesten ins Bild. Zwei Kameraleute fangen die Szenen für die große Leinwand ein. Dort oben erscheinen auch die Übersetzungen des vielsprachigen Abends. Und auch die elf Schauspieler liefern in atemberaubendem Tempo ein grandioses Auf und Ab der Gefühle. Für komödiantische Sternstunden sorgen Walter Bart und Maartje Remmers als dauernörgelndes Paar aus Holland.

Auch wenn im diesjährigen Theaterspektakel keine Hundertschaft an Statisten mitwirkt, kreiert Wunderbaum einen rasanten, überraschenden und überaus amüsanten Kulturarena-Auftakt. Allein das Wurfmikro von Aufnahmeleiterin Mona (Mona Vojacek Koper) und die Cateringliste von Köchin Pina (Pina Bergemann) mit Speisen wie Thüringer Klößen mit Halloumi-Füllung und Falafel in Senfsoße sorgen für schallendes Gelächter auf dem Theatervorplatz.

Weitere Veranstaltungen: Heute, 6. Juli; 10., 11., 12. und 13. Juli, jeweils 21.30 Uhr, Theatervorplatz Jena