Wie das Leben zweier Kahlaer Familien zerstört wurde

Marcus Voigt
| Lesedauer: 3 Minuten
Die Stolpersteine für Adolf, Clothilde und Lotte Jacobsthal vor der Roßstraße 28 in Kahla.

Die Stolpersteine für Adolf, Clothilde und Lotte Jacobsthal vor der Roßstraße 28 in Kahla.

Foto: Marcus Voigt

Kahla.  Die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 hatte auch in Kahla dramatische Konsequenzen: Zwei Familien verloren ihre Existenz. Nun wurde daran erinnert.

Etwa 30 Menschen haben am Mittwochvormittag in Kahla der Opfer der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 gedacht. Mehrere Rednerinnen und Redner forderten dabei, sich gegen ein Vergessen der Geschichte zu wehren und dem wieder erstarkenden Antisemitismus entschieden entgegenzutreten.

In Kahla zerstörte die nationalsozialistische Ideologie das Leben der Familien Jacobsthal und Cohn/Tittel. Adolf Jacobsthal führte in der Stadt ein Geschäft für Haushaltswaren, Textilien und Spielzeug, das nach mehreren Umzügen in der Roßstraße 28 seine Heimat gefunden hatte. Bereits am 1. April 1933 hatten sich hier zwei SA-Leute positioniert, um Kunden von einem Einkauf abzuhalten. Im Nachgang des 9. November 1938 wurde das Geschäft von Jacobsthal zwangsgeschlossen und die Firmenschilder weiß überstrichen. Auf den Fensterscheiben wurde der Schriftzug „Wegen Mord geschlossen“ angebracht.

Im Konzentrationslager ermordet

Nachdem Adolf Jacobsthal kurze Zeit im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert wurde, musste die Familie ihre Wohnung verlassen und in eine Baracke ziehen. Seine Frau Clothilde beging wohl am 3. Mai 1942 Selbstmord, nachdem angekündigt worden war, die Familie zu deportieren. Als offizielle Todesursache wird ein „Herzschlag“ angegeben. Adolf Jacobsthal wurde im Ghetto Bełżyce ermordet. Ihre Tochter Lotte hatten die Eltern bereits 1939 mit einem Kindertransport ins sichere Schweden bringen lassen. Sie starb 1956 in den USA an den Folgen einer psychosomatischen Erkrankung.

Flora Cohn und ihre Tochter Erna Tittel führten indes in der Rudolf-Breitscheid-Straße 16 ein Bekleidungsgeschäft. Im Zuge des 9. November 1938 wurden sie in „Schutzhaft“ genommen und später ebenfalls in der Baracke in der Jenaer Landstraße untergebracht. Flora Cohn wurde dann im September 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie verhungerte. Erna Tittel kam im Juni 1944 ebenfalls nach Theresienstadt und überlebte dort trotz schwerer gesundheitlicher Schädigungen die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten. Zurück in Kahla wurde ihr verwehrt, wieder ein Geschäft zu führen. Sie arbeitete fortan im Porzellanwerk und starb am 1. März 1974.

Autoverkehr stört Gedenken

An das Schicksal beider Familien wurde am Mittwoch aus den Reihen des Kahlaer Gymnasiums erinnert. Die Stolpersteine für beide Familien vor den ehemaligen Geschäften reinigten Schülerinnen und Schüler der Regelschule „Johann Wilhelm Heimbürge“. Die zweite Beigeordnete der Stadt, Claudia Preuß, verlas ein Schreiben von Lucia Manfredi aus der italienischen Partnerstadt Castelnovo ne’ Monti. Diese unterstrich darin die Wichtigkeit, sich mit der traurigen Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Weitere Rednerinnen und Redner waren der Kahlaer CDU-Fraktionschef Frank Hellwig, Stefanie Weber und Philipp Spröte vom Demokratieladen sowie Florian Hellbach von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA).

Unglücklich war, dass die Gedenkveranstaltung immer wieder durch den normal durch die Kahlaer Innenstadt fahrenden Autoverkehr unterbrochen wurde.