Milton Keynes. „Business as usual“? Der Fall Horner liegt wie ein Schatten über dem Formel-1-Team Red Bull. Dabei soll die Vorstellung des neuen Wagens eigentlich eine große Show werden.

In New York stellte Red Bull vor einem Jahr seinen neuen Formel-1-Wagen vor. Die Funken sprühten auf der Bühne, als der RB19 von Weltmeister Max Verstappen dem Publikum vorgestellt wurde. Der Big Apple, wo sonst? Die Show muss für den milliardenschweren Getränkehersteller Red Bull stimmen.

In diesem Jahr liegt ein Schatten über der Präsentation des neuen RB20 am Donnerstag. Teamchef Christian Horner, seit 2005 im Amt und einer der erfolgreichsten der Branche, steht im Zentrum einer Untersuchung. Der Vorwurf: unangemessenes Verhalten.

Die Konzernmutter Red Bull hat am Montag vor einer Woche eine „unabhängige Untersuchung“ gegen Horner eingeleitet, der Red Bull zu sieben Fahrer- und sechs Konstrukteurstiteln führte. Zuvor waren „bestimmten Anschuldigungen“, über die zuerst die niederländische Zeitung „De Telegraaf“ berichtet hatte, bekannt geworden.

Teamchef bestreitet die Vorwürfe

Ein externer Fachanwalt ließ den dienstältesten Teamchef der Motorsport-Königsklasse daraufhin am vergangenen Freitag in London bei einem stundenlangen Gespräch Stellung beziehen. Schon zuvor hatte Horner, seit 2015 mit dem früheren „Spice Girl“ Geri Halliwell verheiratet, die Anschuldigungen vollständig zurückgewiesen.

Die Untersuchung im Fall Horner könnte sich hinziehen. Bis zur Präsentation am Donnerstag? Bis zu den Testfahrten vom 21. bis zum 23. Februar? Vielleicht sogar bis zum ersten Grand Prix des Jahres am 2. März in Bahrain? Vorhersagen fallen schwer.

Red Bull nimmt die Angelegenheit jedenfalls „sehr ernst“. Es geht schließlich um einen möglichen Compliance-Verstoß, was im Kern die Einhaltung von Gesetz und Recht durch das Unternehmen und seine Mitarbeiter beschreibt.

Affäre überlagert die Saisonvorbereitung

Red Bull hat sich nicht konkret zur Art der Vorwürfe gegen Horner geäußert. Überhaupt ist es mit Äußerungen aus dem Konzern und dem Formel-1-Team gerade nicht so einfach. Schließlich überlagert die Debatte um Horner Red Bull, dessen Energydrink dem Marketingsprech zufolge „Flüüügel“ verleihen soll. Immerhin soll mit den Vorbereitungen für die Präsentation des neuen Dienstwagens von Verstappen am Donnerstag alles wie geplant laufen.

„Business as usual“ würde derzeit aber eigentlich bedeuten, dass Red Bull alle Energie und Konzentration auf den nahenden Saisonstart richten kann. Verstappen will nach der erdrückend dominanten Saison 2023 nun zum vierten Mal nacheinander Weltmeister werden, die Konkurrenz das mit aller Entschlossenheit verhindern. Störfaktoren beim Branchenprimus können da für die Jäger aber nur hilfreich sein.

„Red Bull steht als Unternehmen in der Öffentlichkeit und braucht Antworten“, sagte der langjährige Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone der Deutschen Presse-Agentur. Horner war Trauzeuge von Ecclestone bei dessen dritter Hochzeit 2012 mit der Brasilianerin Fabiana Flosi. Man tauscht sich regelmäßig aus. „Wir sind schon seit langer Zeit gute Freunde. Er wurde nun beschuldigt. Solange nicht das Gegenteil bewiesen wird, ist er unschuldig“, betonte Ecclestone am Dienstag.

Wer könnte auf Horner folgen?

Über Konsequenzen wird längst spekuliert. Dem Formel-1-Team Red Bull droht eineinhalb Jahre nach dem Tod von Unternehmensgründer Dietrich Mateschitz eine Zerreißprobe. Sollte Titelmacher Horner tatsächlich gehen müssen, könnte aus dem eigenen Haus der bisherige Red-Bull-Sportdirektor Jonathan Wheatley (56) die Nachfolge antreten.

Der Einfluss des schon 80 Jahre alten Motorsportberaters Helmut Marko, der ein enger Vertrauter von Mateschitz war und dementsprechend aus dem Unternehmen bezahlt wird, würde jedenfalls nicht schrumpfen.

Hätte ein Abschied von Horner auch Auswirkungen auf den genialen Designer Adrian Newey, der seit 2006 die Autos mit der Buchstabenkennung RB entwirft? Angeblich soll Neweys Zukunft mit der seines Teamchefs vertraglich gekoppelt sein.

Horner dürfte vor allem auch daran interessiert sein, über welche Wege die Angelegenheit öffentlich wurde und an die Zeitung in den Niederlanden gelangte. Inwiefern seine Autorität im Team untergraben sein könnte und eine weitere Zusammenarbeit aussehen würde, müsste sich zeigen, sollte er im Amt bleiben.

Was wird im globalen Hauptquartier von Red Bull im beschaulichen Fuschl am See entschieden, sobald die Untersuchung abgeschlossen ist und eine Bewertung erfolgen muss? Die Verantwortung für die Sportaktivitäten von Red Bull trägt seit dem Tod von Mateschitz im Oktober 2022 Oliver Mintzlaff, der vom Fußball-Bundesligisten RB Leipzig auf einen der drei Geschäftsführer-Posten des Gesamtkonzerns rückte. Der Fall Horner ist sicher alles andere als „business as usual“.