Berlin. Erstmals rückt eine Frau an die Spitze der Gewerkschaft. Christiane Benner kennt die IG Metall sehr gut – und weiß um ihre Baustellen.

Eigentlich stand das Ergebnis steht schon fest, doch nun ist es endgültig entschieden: In den Frankfurter Messehallen hebn die Delegierten der großen, mächtigen Einzelgewerkschaft IG Metall zum ersten Mal eine Frau an ihre Spitze gewählt. Christiane Benner heißt sie, ist 55 Jahre alt. Sie stand schon seit 2015 als stellvertretende Vorsitzende hinter dem Chef Jörg Hofmann, der aus Altersgründen ausscheidet. Nun also allererste Reihe.

Politisch engagiert hat sich Benner schon vor dem Arbeitsleben. „Ich war Schulsprecherin“, blickt sie zurück. Nach dem Abitur folgte eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin bei einem Maschinenbauer. Schon mit 20 Jahren zog sie dort in den Betriebsrat ein. Ihre berufliche Gewerkschaftskarriere begann allerdings erst 1997 mit der Betreuung der Jugendarbeit der IG Metall in Frankfurt. In den folgenden Jahren stieg sie nach und nach weiter auf, bis in den Vorstand.

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Soweit hört es sich nach einer stringenten Funktionärslaufbahn an. Doch dieses Etikett würde ihr nicht gerecht. Das liegt auch an der Gewerkschaft selbst. Die IG Metall ist traditionell eine Männerdomäne. Sie vertritt die Beschäftigten in der Autoindustrie, den Stahlwerken und den Maschinenbaubetrieben. Insbesondere erstere dominierten lange die Gewerkschaftspolitik. Mächtige Chefs wie Franz Steinkühler, der die stündliche fünfminütige „Steinkühlerpause“ durchsetzte, und Klaus Zwickel, der in den ostdeutschen Metallbetrieben einen Streik für die 35-Stunden-Woche führte und verlor, sind nur zwei Beispiele dafür.

IG Metall: Bislang immer in Männerhand

Und die IG Metall ist fest in der Hand der Süddeutschen. Von elf bisherigen Vorsitzenden nach dem Zweiten Weltkrieg stammte sieben aus Baden-Württemberg, dem Autobauerland schlechthin. Selbstverständlich waren alles Männer. Frauen sind rar. Sie stellen nur 20 Prozent der Mitgliedschaft. Auch diesmal strebte ein Schwabe an die Spitze. Der baden-württembergische IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger wäre wohl gerne in die Frankfurter Zentrale gezogen, um dem noch amtierenden Vorsitzenden nachzufolgen. Dafür hatte sich Hofmann schon eine Strategie zurechtgelegt. Er wollte Benner zur Vorsitzenden des Dachverbands DGB machen. Doch sie wollte nicht. Stattdessen bekam die hessische SPD-Politikerin Yasmin Fahimi den Job. Zitzelsberger blieb im Ländle zurück.

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In der IG Metall hat Benner schon einmal eine kleine Zeitenwende eingeleitet. Mit einer veränderten „Zielgruppenarbeit“ hat sie der traditionell auf Arbeiter ausgerichteten Gewerkschaft neue Klientel erschlossen. Benner wollte Frauen, Ingenieure, aber auch sogenannte Clickworker für die IG Metall gewinnen. Letztere hangeln sich mit Aufträgen über das Internet durch ein oft prekäres Berufsleben. Sie kümmerte sich auch die noch jungen Sparten in der Informations- und Kommunikationstechnik.

In dieser Branche sieht Benner auch die Zukunft der Arbeit. Das hat sie schon während ihres Soziologie-Studiums in den USA gelernt. Dort waren Computer alltägliches Werkzeug, während in Deutschland noch die Schreibmaschinen klapperten. Die technologische Entwicklung verändert die Produktion, etwa in der Autoindustrie. „Wenn ich verstehe, was bei IBM oder SAP geschieht, dann weiß ich, was in den anderen Betrieben drei oder vier Jahre später passiert“, sagt sie.

Christiane Benner kennt die Baustellen der Gewerkschaft.
Christiane Benner kennt die Baustellen der Gewerkschaft. © AFP | KIRILL KUDRYAVTSEV

IG Metall: Der Kampf für eine 4-Tage-Woche

Was auf sie zukommt, weiß sie. Der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft sei die größte gesellschaftliche Herausforderung dieses Jahrhunderts. Eine Deindustrialisierung dürfe nicht zugelassen werden, so Benner. Diese Angst geht gerade bei den Beschäftigten der Autoindustrie um. Der Umstieg auf Elektromobilität könnte viele Tausend Stellen kosten. Erfahrungen mit dem größten Industriezweig hat Benner schon sammeln können. Sie sitzt bei BMW und Conti im Aufsichtsrat. Als Vorsitzende wird sie wohl auch bei Volkswagen in das Kontrollgremium einziehen.

Eine andere Großbaustelle wird die neue Chefin wohl noch lange beschäftigten: die Transformation der Arbeitswelt. Es geht dabei nicht nur um eine klimaneutrale Produktion. Es geht auch um verträgliche Arbeitsbedingungen und Strukturen, die Frauen eine stärkere Beteiligung am Erwerbsleben ermöglichen. Hier sieht sie noch einige Hürden, die es abzubauen gilt. Eine ist die Arbeitszeit.

Der bisherige Vorsitzende Jörg Hofmann hat die Richtung dabei schon eingeschlagen. In der Stahlindustrie will die IG Metall die 4-Tage-Woche durchsetzen. Das ist eine Forderung für eine Sparte mit vergleichsweise wenigen Beschäftigten. Doch auf lange Sicht steht eine weitere Arbeitszeitverkürzung auch bei Benner auf der Wunschliste. „Kurze Vollzeit“ nennt sie den Ansatz, der eine 32-Stunden-Woche für Männer und Frauen anstrebt und die sie als probates Mittel gegen den Fachkräftemangel ansieht.

Nun wird Benner Hofmann ablösen, der den Weg zu kürzeren Arbeitszeiten in den vergangenen Jahren nicht zu Ende gehen konnte. Der 67-Jährige scheidet nach acht Jahren als Vorsitzender aus dem Amt und hat bleibende Spuren hinterlassen. Dazu gehört zum Beispiel das „Pforzheimer Abkommen“, das Sonderregelungen für ertragsschwache Unternehmen zulässt und damit hohe Tarifabschlüsse auf breiter Front ermöglicht. Welche Spuren Benner hinterlässt, werden die Delegierten Metaller in vier Jahren bewerten. So lange ist sie als Vorsitzende gewählt.