Berlin. Der hoch verschuldete Immobilienkonzern soll aufgelöst werden. Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft? Experten sind sich uneins.

300 Milliarden US-Dollar – so hoch soll der Schuldenberg sein, den der chinesische Immobilienkonzern Evergrande vor sich herschiebt. Nun beschloss ein Gericht in Hongkong die Abwicklung des Unternehmens. Wie das funktionieren und wie die deutsche Wirtschaft davon betroffen sein könnte. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Warum ist Evergrande in Schieflage geraten?

Chinas Regierung will die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Immobiliensektor reduzieren, sagt der China-Kenner Max J. Zenglein, der als Chefvolkswirt beim Mercator Institute for China Studies (Merics) arbeitet, dieser Redaktion. Der Immobilienbereich machte dem Experten zufolge zeitweise gut 30 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung aus. „Das war ungesund und nicht nachhaltig“, so Zenglein. Evergrande hatte das große Wachstum vor allem über Kredite finanziert. Diese hohe Schuldenlast war der chinesischen Regierung „ein Dorn im Auge“, erklärt der Experte. Schon vor einiger Zeit führte die Regierung deswegen strengere Regeln ein, etwa, wie viele Schulden die Konzerne, gemessen an ihrem Eigenkapital, aufnehmen dürfen.

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Wie läuft die Abwicklung ab?

Das ist noch nicht klar. Dass sich die chinesische Regierung von einem Hongkonger Gericht die Aufteilung Evergrandes diktieren lasse, sei nicht zu erwarten, so Experte Zenglein. „Die chinesischen Behörden werden das auf ihre eigene Art und Weise machen.“ Die Zentralregierung werde allerdings versuchen, die Auswirkungen auf die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten. „Die erste Priorität wird sein, Bauvorhaben, die laufen und wofür Anzahlungen geleistet worden sind, zu Ende zu bauen. Danach wird man sehen, was man noch veräußern kann“, glaubt Zenglein, der zehn Jahre lang in China gelebt hat.

Was bedeutet das für Chinas Verbraucher?

„Die Schieflage im chinesischen Immobiliensektor drückt auf die Stimmung der privaten Haushalte und insbesondere der chinesischen Mittelschicht, für die eine wichtige Anlageklasse gewesen sind“, sagt Fachmann Zenglein. Das könne sich in der Konsumlaune niederschlagen.

Welche Risiken bestehen für die deutsche Wirtschaft?

Die Evergrande-Abwicklung habe für Deutschland kaum unmittelbare Rückwirkungen, glaubt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln). Chinesen, die möglicherweise in der Immobilienkrise an Finanzkraft verlieren, könnten jedoch vorsichtiger beim Geldausgeben werden. „Weniger Wachstum in China bedeutet tendenziell auch schlechtere Absatzperspektiven für deutsche Exporteure und deutsche Firmen vor Ort. Aber da die chinesische Wirtschaft ohnehin für ihre Verhältnisse schwächelt, dürfte die Wirkung des zusätzlichen Dämpfers durch Evergrande letztlich begrenzt bleiben“, erklärt der Volkswirt.

Mit der Schwäche Chinas dürfte sich die Hoffnung auf einen positiven Impuls erst einmal nicht erfüllen.
Ökonom Marcel Fratzscher

Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sieht in einer weiteren Schwächung der chinesischen Wirtschaft auch für Deutschland ein größeres Risiko. „Die Erholung der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr hängt stark von der Entwicklung der Exporte ab und mit der Schwäche Chinas dürfte sich die Hoffnung auf einen positiven Impuls erst einmal nicht erfüllen“, so Fratzscher.

Der Geschäftsführer der Auslandshandelskammer China, Jens Hildebrandt, nannte die wohl bevorstehende Auflösung ein „Ende mit Schrecken“. „Die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft dürften sich in Grenzen halten, da die Probleme schon lange bekannt sind und sich bereits negativ auf das Konsumentenvertrauen ausgewirkt haben“, so Hildebrandt.

Beeinflusst die Evergrande-Krise die hiesige Immobilienbranche?

Das ist unwahrscheinlich. „Die Entwicklung in China ist mit deutschen Verhältnissen nicht im Entferntesten vergleichbar. Ob es am Ende Auswirkungen auf den deutschen Markt gibt, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden“, sagte der Präsident des Spitzenverbands der Immobilienbranche ZIA, Andreas Mattner, dieser Redaktion.