Frank Quilitzsch über ein historisches Konzert von Rainald Grebe.

„Komm, wir müssen los“, drängle ich.

„Hast du den Flaschenhalter montiert?“, drängelt K.

Noch nicht. Das dauert drei Minuten länger, weil es K. nicht schnell genug geht. Rucksack, Helm, Sonnenbrille – endlich radeln wir los.

Erster Stopp nach 50 Metern. K. hat ihre Wasserflasche vergessen.

Nächster Stopp nach 100 Metern.

Die Flasche klappert.

Also doch in den Rucksack. Wozu braucht man, frage ich mich, überhaupt eine Wasserflasche, wenn man an Dutzenden Biergärten vorbei kommt?

Wir radeln nach Paulinzella zum Kulturfestival. Aus 50 Kilometern werden leicht 70, wenn man in Dörnfeld ein Hotelzimmer bucht. Es gibt nämlich zwei Dörnfelds. Der Radweg führt nach Dörnfeld an der Ilm. Unser Hotel steht aber 20 Kilometer weiter in Dörnfeld an der Heide. Von dort sind es noch einmal zehn bis Paulinzella, und nachts natürlich wieder zurück.

90 Kilometer mit dem Rad, nur um Rainald Grebe zu erleben?

Es hat sich gelohnt!

Grebe lobt die Ruine, die Wiese, den Kräutergarten, die Motten und den Veranstalter. Zurecht, denn wir erleben einen historischen Abend. Nach 14 erfolglosen Anläufen hat Festivalleiter Jürgen Schneider den deutschlandweit umworbenen Star endlich nach Paulinzella gelockt. Und läuft glücklich mit dem Klingelglöckchen umher. Sein 15. Festival – rundum ausverkauft!

Nicht weniger glücklich das Publikum. Es ist deutlich älter als das bei Grebes Auftritten in Jena oder Weimar. Auch ich kann den Durchschnitt nicht drücken. Die eine Hälfte der Paulinzella-Besucher kommt aus West-, die andere aus Ostthüringen. Grebes Hymne kennen natürlich alle: „Thü-hü-hü, hü-hü, hü-hü…“

Rainald Grebe und seine Musiker geben Vollgas, denn Viertel vor elf müssen die Bahnreisenden los. Das Konzert geht noch weiter. Eingängige Songs und herrlich freche Zeitgeistkritik, gepaart mit viel Ulk und charmantem Entertainment. Die neuen Lieder von „Albanien“ bis zur Pause, danach die Ohrwürmer, die Klassiker.

Nach der Pause hat auch die präsentierende Mediengruppe Thüringen einen Auftritt. Jürgen Schneider schießt dreimal einen Wasserball ins Publikum, und wer ihn fängt, darf sich über ein digitales Zeitungs-Abo freuen. Wunderbar, und doch vermisse ich etwas…

Grebe besingt alles, wirklich alles, nur nicht das Fahrrad. Ich kenne überhaupt nur einen Song, der den Drahtesel lobt: „Bicycle Race“, doch der ist von Queen. Und dieses schlichte „Ja, mir sei mit ‘em Radl da“ von Ernst Neger – darf der wirklich noch so heißen?

Wo, frage ich, hat das Fahrrad seinen Platz in unserer Folklore?

Raini! Fahrrad! Klingelt’s?

Auf der Rückfahrt ins Hotel werden wir unentwegt von Autos mit Saalfelder, Rudolstädter und Geraer Kennzeichen überholt. In Rottenbach biegen sie nach links ab, wir radeln nach rechts in die Berge hinauf. Nach zwei Kilometern fällt meine Frontlampe aus. K. leuchtet mir heim. Heim nach Dörnfeld an der Heide.