Erfurt. Auch nach der Nelkenrevolution blieb der portugiesische Sänger José Afonso eine gewichtige Stimme – musikalisch wie politisch. Christian Werner über das Album „Coro dos Tribunais“.

Sein Song „Grândola, Vila Morena“ war das übers Radio verbreitete Zeichen für die portugiesische Nelkenrevolution am 25. Februar 1974. Und läutete musikalisch das Ende der Estado-Novo-Diktatur ein. Der Musiker, Poet und Menschenrechtsaktivist José Afonso, von seinen Landsleuten auch liebevoll Zeca genannt, war vor und nach der Revolution eine wichtige gesellschaftliche Stimme.

Nun sind im Reigen der Wiederveröffentlichungen seiner Werke zwei weitere Alben remastered erschienen: „Com as minhas Tamanquinhas“ von 1976 sowie „Coro dos Tribunais“ aus dem Dezember des Jahres 1974. Es ist José Afonso erstes Album seit dem Sturz der Diktatur in seiner Heimat.

Aufnahme in bekanntem Londoner Studio

Die Pide – die Geheimpolizei – ist zwar keine reale Gefahr mehr. Doch Afonso hält auch bei diesem Album an einer vormals notwendigen Tradition fest: Er nimmt die Platte im Ausland auf, genauer in den Pye-Studios in London, in denen schon The Rolling Stones, The Kinks, The Who oder Chuck Berry ihre Gitarren einstöpselten.

Das Cover des Albums „Coro dos Tribunais“ von José Afonso.
Das Cover des Albums „Coro dos Tribunais“ von José Afonso. © Mais 5/Broken Silence

Afonso führt seinen Stil fort, indem er den Fado, eine traditionelle portugiesische Musikform, bearbeitet, modernisiert und aktualisiert sowie um Elemente der afrikanischen, indischen und lateinamerikanischen Musik anreichert.

Die Lieder „Ailé! Ailé!“ und „O que faz falta“ sind gute Beispiele für den Einfluss Afrikas auf sein Werk. Afonso arbeitete Mitte der Sechzigerjahre als Lehrer auf dem Kontinent, etwa in Mosambik, – eine wichtige Zeit der Sensibilisierung für die Probleme des Kolonialsystems.

Afonso spielt frühe Form von Weltmusik

In den Siebzigerjahren ist diese Verbindung musikalischer Einflüsse und Stile nicht selbstverständlich. Afonso betreibe eine frühe Form von Weltmusik, lange bevor Paul Simon, der Buena Vista Social Club oder Peter Gabriel dem Genre ein breiteres Publikum bescheren, so Nuno Saraiva in einem Radiointerview. Saraiva hat das Plattenlabel „Mais 5“ gegründet und kümmert sich mit Afonsos Erben um die Re-Releases von dessen Alben.

Das Cover des Albums „Com as minhas Tamanqinhas“ von José Afonso.
Das Cover des Albums „Com as minhas Tamanqinhas“ von José Afonso. © Mais 5/Broken Silence

Auf „Coro dos Tribunais“ besinnt sich Afonso aber auch wieder mehr auf seine musikalischen Anfänge, als er nur zur Akustikgitarre seine Weisen anstimmte. Die weltmusikalischen Experimente sind deutlich dezenter vertreten als auf „Com as minhas Tamanquinhas“. Bei zwei Songs des Albums singt er zudem nicht seine Lyrik, sondern hat Texte von Bertolt Brecht verarbeitet.

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Was sich jedoch nie ändert, ist seine Ausnahmestellung als Sänger. Seine Tonlage, sein Timbre können Trauer und Hoffnung gleichermaßen berührend transportieren, wenn nötig sogar gleichzeitig. Das Wehmütige, Sehnsuchtsvolle aber, egal in welcher Gefühlslage, bleibt ein wesentlicher Ausdruck dieser einzigartigen Stimme.

Wir stellen in #langenichtgehört vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor.

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