Erfurt. Auch im weithin atheistischen Thüringen gehen am Dienstag viele in eine Kirche und folgen einem naiven Krippenspiel.

Heute ist der Tag. Der Tag und die Nacht des Jahres. Ein Tag der für viele Menschen durch Tradition bestimmt wird. Eine individuelle Tradition, die, jenseits des Glaubens, fortlebt in der Familie, weitergetragen Jahr um Jahr, nicht selten von den Kindern übernommen, wenn sie dann ihren Kindern das Fest bereiten.

Das Abendessen, die Art, in der die Geschenke freigegeben werden unterm Baum. Ein gemeinsames Lied bei den einen, der Klang eines Glöckchens bei den anderen. Und am Nachmittag, auch in unserem atheistisch geprägten Umfeld, womöglich ein Gang in die Kirche. Und auch der ist für viele Menschen Teil der Tradition, die diesen Tag prägt, sie mögen glauben an den, dessen Geburt dieses Fest gilt oder nicht.

Und wenn sie gehen, dann wissen sie, dass sie in aller Regel ein Krippenspiel erwartet. Dieses Laienspiel wird weder ein künstlerisches Erlebnis sein, die Darsteller sind Kinder der Gemeinde, der es einstudiert kein wirklicher Regisseur, noch wird es eine wirklich spirituelle Kraft aufweisen, dazu sind die Kinder und die Naivität, in der die Geschichte erzählt wird gar nicht in der Lage.

Und doch gehört es beinahe so zu Weihnachten wie der Baum, der diesen Abend so festlich illuminieren wird mit seinem Licht. Und auch das Krippenspiel hat seine eigene Tradition entwickelt durch die Jahrhunderte, Franz von Assisi soll es begründet haben im fernen, für uns beinahe unwirklichen Jahr 1223.

Das Krippenspiel erzählt die Geschichte, die diesem Tag seine Würde verleiht durch alle Zeiten hindurch. Niemand weiß mit Sicherheit, ob dieses Kind tatsächlich geboren wurde, es gibt jedoch keine rationale Erklärung, die die welthistorische Bedeutung des Menschen Jesus vernünftig zu begründen vermag, wenn diese Geburt nicht als historische Tatsache akzeptiert wird.

Man kann nur glauben, dass dieser Jesus als Christus, als der Erlöser, zu Ostern auferstanden ist, hier beginnt der Glaube, das entzieht sich jeder rationalen Erklärung. Wenn aber ein Mensch geboren wird, wenn das Wunder des Lebens sich ereignet, dann korrespondiert das mit unserer Lebenserfahrung - unabhängig von den besonderen Umständen, die dieser Geburt zugeschrieben werden.

Zu den kleineren Unbekannten dieser Umstände gehört das Geschehen in der Krippe. Es steht so ziemlich fest, dass die Geburt nicht in der später als heilig erklärten Nacht stattfand, das war nichts als eine pragmatische Setzung: Am 25. Dezember feierten die Römer den Sonnengott, so musste, als Rom das Christentum zur neuen Staatsreligion erhob, die Feier dieses schon kultisch belegten Tages lediglich christlich besetzt werden.

Und von dem Stall, den wir heute sehen werden in jedem Krippenspiel, ist an keiner Stelle der Schrift die Rede. Der Evangelist Lukas berichtet lediglich von einer Krippe, der Ort, an dem sie stand ist eine Hinzufügung. Und schon gar nicht begegnen uns in der Schrift Ochs und Esel, die doch in keiner idyllischen Weihnachtskrippe fehlen. „Der Ochse“, heißt es allerdings im Alten Testament, „kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht“, so klagt der Prophet Jesaja.

Die später daraus wachsende Interpretation besagte ungefähr, zwischen dem Ochsen, dem an sein Gesetz gebundenen Volk der Juden, und dem Esel, die dem Götzendienst anhängenden Heiden, liegt der Gottessohn, der beide zur Wahrheit führen wird.

In den Kanon des Neuen Testamentes schafften es beide nicht, nur in das apokryphe, also nicht in die Bibel aufgenommene Pseudo-Matthäus-Evangelium, das einen großen Einfluss auf die christliche Ikonografie des Mittelalters hatte. Und deshalb stehen Ochs und Esel bis heute in der Krippe - eine Tradition, die ihre Autorität nicht aus der Bibel herleiten kann, nur aus sich selbst.

Auch daran sehen wir, wie sehr dieser Tag von Traditionen geprägt wird. Und die Naivität der Krippenspiele entspricht einem weitgehend vergangenen naiven Volksglauben, der die schlichten und theologisch überflüssigen Kindheitsgeschichten des Heilands durch die Jahrhunderte trug.

Eine Sehnsucht, die jeder teilen kann

Es wirkt wie eine merkwürdige Erscheinung, dass viele Menschen, die in ihrem Selbstverständnis Atheisten sind, an diesem Tag in der Predigt der Anrufung eines Gottes beiwohnen, an den sie nicht glauben, im Krippenspiel einer naiv vorgetragenen Geschichte folgen, die eine Religion begründet, die sie nicht haben.

Und doch wohnt diesem besonderen Raum Kirche eine Kraft, eine Spiritualität inne, die gottferne Menschen suchen an diesem Tag. Vielleicht, so ließe sich sagen, dass die Grundbotschaft des Menschen Jesus, die Aufforderung zur gelebten Nächstenliebe, die Hoffnung auf Frieden und Harmonie, an diesem Tag die Grenze überschreitet von einer Religion, an die man nur glauben kann, zu einer Sehnsucht, die jeder teilen kann. Vielleicht, dass an diesem Tag die Grenze zwischen Religion und Hoffnung unscharf wird.

Kirchen sind ein geschützter Raum - und vielleicht ist es so, dass auch Menschen, die sonst das ganze Jahr Kirchen bestenfalls als Kulturgut betrachten, zu Weihnachten den Schutz dieses besonderen Raumes suchen. Als Schutz vor den lärmenden, mitunter auch aufdringlichen Zurüstungen des Einzelhandels für das Geschäft des Jahres, als eine Art Insel im tosenden Meer des Kommerzes.

Und als eine Art akklimatisierender Schleuse in die Besonderheit dieses Abends. Als eine atmosphärische Einstimmung auf diesen besonderen Abend, auf diese einzigartige Nacht. „Warum“, so fragen die Juden am Vorabend des Pessach-Festes, und der Stifter des Christentums war schließlich ein Jude, „warum ist diese Nacht anders als andere Nächte?“

Die Antwort auf diese Frage, wenn sie zur Weihnacht gestellt wird, könnte lauten: Weil in ihr eine Hoffnung schwingt, die Hoffnung, wie friedlich, wie harmonisch das Leben der Menschen sein könnte. Und wohl auch deshalb ist das Krippenspiel, in all seiner Naivität, ein Teil dieses Tages. Kann auch sein, diese Hoffnung ist so naiv wie das Spiel um die Krippe. Aber schön ist sie doch.

Wir wünschen Ihnen ein frohes Fest.

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