Weimar. Zum Finale des Kunstfests in Weimar sorgt das Festival für Begegnungen von Ost und West ebenso wie von Musik und Malerei.

Auf diesem Kunstfest wird Geld verbrannt: zehn Euro, von dreißig möglichen. Sie gehen vor Zuschauern, die sich in der Rolle von Akteuren wiederfinden, in Flammen auf.

„Es ist wirklich befreiend“, versprach ein Brief aus Düsseldorf, der dem Geldschein nebst Schale und Feuerzeug beilag. Der Schreiber hatte darin von der alternativen Kulturszene der Siebziger Jahre berichtet. Damals zündete man in Kneipen „aus Spaß“ wohl häufiger Geld an.

An den beiden Abenden zuvor setzten sich im Publikum diejenigen durch, die den Schein nicht brennen sehen wollten. Einmal blieb er unversehrt liegen, einmal ging er mit der Schale rum und erhielt Zuwachs, als spontane Spendensammlung für den Jugendclub Waggong im Plattenbauquartier von Weimar-West. Hier kommt die „Post von drüben“ an: ein Dutzend Briefe und Pakete aus Düsseldorf, in einer Holzkiste verpackt.

Unmittelbar nach der Zehn-Euro-Affäre zitiert ein anderer Brief den Pfarrer und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer aus Wittenberg: „Für uns ist klar, dass wir nach der Ablösung der Herrschaft einer Ideologie nun nicht die Herrschaft des großen fremden Geldes über uns wollen“, erklärte er im November 1989 für den Demokratischen Aufbruch.

Verantwortung fürs eigene Schicksal, das

„Warum habt Ihr eigentlich damals die schnelle Wiedervereinigung gewählt“, fragt der Briefschreiber, „statt auf die klugen Protagonisten eurer Bürgerbewegung zu hören?“

Nun, ließe sich antworten, den Demokratischen Aufbruch übernahmen bald Leute wie Angela Merkel, aus dem die „Wir sind das Volk“-Bewegung wurde: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!“ Sie hofften auf die befreiende Wirkung des Geldes mehr als auf die „einmalige Chance, gemeinsam eine ganze neue Gesellschaft zu entwickeln“, die der Düsseldorfer „leider verpasst“ nennt.

Die ostdeutsche Verantwortung fürs eigene Schicksal, das man derart in Hände nahm, dass man sie nicht in eigene Hände legen musste, wird an diesem dritten Abend nur gestreift. Die meisten Teilnehmer der „partizipativen Performance zwischen Ost und West“ sind einfach zu jung. Sie sind jung genug, um die allgemeine Sprachlosigkeit, von der auch die Rede ist, ungeniert zu überwinden.

Zwölftklässler aus Brandenburg an der Havel, auf Weimar-Tour befindlich, sind gekommen, zwei Oldenburgerinnen, die vor einem Jahr mit einer solchen Seminarfachgruppe hier waren und sich nun für ein Leben in Weimar entschieden, auch sonst viele junge und einige ältere Weimarer sowie ein Paar aus Düsseldorf, das im Juli zu Hause das Gegenstück dieser Performance erlebte.

Eine radikale Form des Mitmachtheaters

Die Theatermacher André Erlen und Stefan H. Kraft von „Futur3“ aus Köln sammelten in beiden Städten Geschichten, Erinnerungen, Erfahrungen und transportierten sie in der Kiste jeweils in die andere Richtung: erst zum Asphalt Festival, nun also zum Kunstfest.

Neben der Kiste gibt es eine Landschaft aus schwarzen Kartons und zwei Mikrofonen auf einem Teppich in der Mitte des Raumes sowie zu Beginn eine Ansage via CD-Player: „Es wird jetzt niemand mehr kommen!“ Das verweist auf eine radikale Form des Mitmachtheaters, die ganz ohne Schauspieler funktioniert, aber nicht ohne ein Publikum, das diese Leerstelle ausfüllt: das Päckchen auspackt, Briefe vorliest, CDs einlegt, Spiele anleitet, vor allem: debattiert.

So entsteht spontan ein heterogenes Bild über Ost und West, Jung und Alt, Links und Rechts, Deutschland und Europa, Gräben und Brücken, Vergangenheit und Zukunft.

Ob nicht erst die Rede von Ost und West nach dreißig Jahren deutscher Einheit immer noch trennt, wird auch diskutiert. So wird „Post von drüben“ zum „Sinnbild für die Geschichte, die nicht vergehen will“.

Davon spricht, zum Kunstfest-Finale im Musikgymnasium Belvedere, der Kunsthistoriker Siegfried Gohr. Er hat dabei, wie wir alle, ein drei mal vier Meter großes Gemälde im Blick: „Immer noch unterwegs“ von Georg Baselitz, 2014 gemalt und nun erstmals öffentlich präsentiert. Es ist dies hier die „Uraufführung eines Bildes“, von Bariton Matthias Goerne initiiert. Aus Weimar stammend, auf Opernbühnen und Konzertpodien der Welt zu Hause, etabliert der „Kunstfest-Botschafter“ ein neues Format des Festivals. Baselitz sagt am Ende berührt, er hätte „nie gedacht, dass Musik und Bilder einander ergänzen und sich verstehen“.

Der Maler kam einst aus der Oberlausitz zum Kunststudium nach Ostberlin, eckte an, flog raus, ging 1957 in den Westteil, eckte wiederum an.

Das neue Gemälde ist eines seiner „Remix-Bilder“, auf denen er frühere Motive neu aufnimmt und verändert, in diesem Fall „Die großen Freunde“ von 1965, aus dem Helden-Zyklus.

Baselitz, erklärtermaßen „in eine zerstörte Ordnung hineingeboren“, wollte in der Kunst „keine neue Ordnung einführen“. Er sah 1945 den Zug geschlagener Wehrmachtssoldaten. Der Komponist Karl Amadeus Hartmann sah einen Zug Dachauer KZ-Häftlinge und schrieb daraufhin die Klaviersonate 27. April 1945.

Alexander Schmalcz spielt die harten traurigen Akkorde dieses Marsches (der dritte Satz), Hanns Eislers „Hollywooder Liederbuch“, im Exil unter anderem auf Brecht-Gedichte geschrieben, schließt sich unvermittelt an. „Die Vaterstadt, wie empfängt sie mich wohl“ singt Goerne, der zuvor in Alban Bergs Vier Liedern sang: „Schlafend trägt man mich in mein Heimatland“ (Alfred Mombert). Goernes Stimme fließt vom Hellen ins Dunkle und zurück, vom Hauch zum Sturm, findet Kraft im Zarten, singt gleichsam klare Linien und Bögen über ausgefranste Ränder. Er singt hinauf zum Paar auf dem Baselitz-Gemälde, singt in es hinein und gleichsam aus ihm heraus. Er malt mit der Stimme und deutet das Wort vom Klangbild dabei neu.

Und schon wieder hat uns dieses Kunstfest eine Brücke gebaut.