Weimar. Herman van Veen über ein denkwürdiges Konzert in Weimar, über Populisten, das Älterwerden, seine Geige und zärtliche Gefühle.

Er spielt Geige, singt, schreibt, komponiert, führt Regie, schauspielert, malt und ist der geistige Vater der berühmten Zeichentrick-Waisenente Alfred Jodocus Kwak. Der 74-jährige niederländische Liedermacher Herman van Veen, der zu den wenigen Weltstars dieses Genres gehört, gastiert am Freitag mit seinem Programm „Neue Saiten“ in Weimar. Wir sprachen vorab mit ihm am Telefon über sein Leben und seine Kunst.

Herr van Veen, Sie gastieren schon zum siebten Mal in Weimar. Offenbar mögen Sie die Goethestadt...

Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Mal, 1987 war das, glaube ich, also noch in der DDR. Nach dem Konzert war alles dunkel, es gab kaum Laternen. Das hat mich beeindruckt. Als ich zum Hotel zurückgegangen bin, war es ungewohnt still.

Und das Publikum?

Das war fantastisch! Damals wollten viel mehr Leute in die Vorstellung, als es Plätze gab. Da waren Hunderte, die noch rein wollten, doch es war ausverkauft. Während des Konzerts hat man dann alle Türen aufgemacht, damit die Leute draußen mithören konnten. Und mitsingen! Das vergesse ich nie. – Darf ich einen Vorschlag machen?

Bitte sehr.

Wir könnten vielleicht Karten unter den Menschen verlosen, die damals nicht reinkonnten. Die ersten zehn, die sich bei Ihrer Zeitung melden, bekommen zwei Tickets gratis.

Gute Idee. Aber wie kontrolliert man das?

Die brauchen nicht zu beweisen, dass sie damals draußen standen. Wir müssen ihnen einfach glauben.

Sofern sie nicht jünger als 30 sind.

Oh, so lang ist das schon her? Das ist ja unglaublich.

Unglaublich finde ich auch, dass ein weltbekannter Liedermacher wie Sie mit 74 noch einmal „Neue Saiten“ aufziehen will. Auf was müssen wir uns gefasst machen?

Naja, das ist natürlich metaphorisch gemeint. Meine Geige braucht immer mal neue Saiten, was Probleme macht, denn sie verstimmen sehr schnell. Man muss die neuen Saiten viel höher spannen und ein paar Tage früher, so dass man sie ein paar Tage später auf Ebene hat. Aber mit zunehmendem Alter denke ich auch darüber nach, welche neuen Saiten ich für mich selbst brauche.

Ist Ihre Geige älter als Sie?

Ja, viel älter. Das ist eine Mittenwalde, die ich mal in der DDR bekommen habe. Ich weiß nicht mehr, wo wir gespielt haben, aber die hatten kein Geld für die Gage. Dann haben sie gesagt, okay, schenken wir ihm eine Geige. Sehr praktisch. Ich habe sie auch jetzt wieder dabei.

Sind Sie der Geige immer treu geblieben?

Aber ja.

Wird Ihre Frau nicht neidisch, wenn Sie so unglaublich zärtlich auf dem Instrument spielen?

Nein, nein. Ich hab’ eine Frau, die keine Eifersucht kennt. Das ist ein seltenes Talent. Sie ist so überzeugt von uns, was ich auch denke, was ich auch sage oder tu, meine Frau wird nie eifersüchtig.

Ich finde übrigens schön, wie Sie Deutsch mit mir sprechen. In welcher Sprache singen Sie am liebsten?

Natürlich in meiner Muttersprache, da kenn’ ich mich aus. Wir singen unsere Vorstellungen in vier Sprachen: Holländisch, Englisch, Französisch und Deutsch. Allerdings bin ich in einer Fremdsprache nie ganz sicher, ob das, was ich sage, nicht auch etwas anderes bedeuten kann.

Holland ist heute eine Hochburg der Rechtspopulisten. Fühlen Sie sich da noch heimisch?

Ich fühle mich heimisch, bin aber nicht einverstanden mit diesen Menschen. Jeder hat das Recht, das zu sagen, was er will. Das Recht hab’ ich auch. So lange das nicht beschnitten wird, befinden wir uns in einer Demokratie. Ich glaube an die Vernunft und die Intelligenz, und ich glaube an den Dialog.

Den Sie auch als Künstler führen. Sie reisen viel, und man könnte sagen, dass Sie mit Ihren Liedern zur Verständigung beitragen.

Da müssen Sie die Zuhörer fragen, wie sie das empfinden. Dass wir durch Europa und die ganze Welt reisen dürfen, ist grandios. Wir kennen die Geschichte und wissen, was eine Grenze bedeutet. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir in einem freien Europa ohne Grenzen leben. Grenzen sind nicht ökonomisch, nicht praktisch und nicht ethisch. Jenen Menschen, die diese Grenzen zurückhaben wollen, müssen wir erklären, wie das früher war. Darüber singe ich, doch letztlich liegt es an jedem selbst, wie er damit umgeht.

Es gibt ein Lied, das Sie durch alle Zeiten begleitet hat, eine Art Lebenshymne, ein Plädoyer für Liebe, Respekt und Toleranz: „Ich hab’ ein zärtliches Gefühl“.

Das ist mein Credo. Aber ich sing’ das Lied nicht mehr so oft. Ich hab’ das früher häufig gesungen, doch weil das inzwischen so bekannt ist, hat es eine andere Bedeutung bekommen.

Wenn sie das Lied heute singen, was geht Ihnen dabei durch den Kopf?

Ich spüre, wie das Lied mit zunehmendem Alter immer wichtiger wird. Trotzdem singe ich es nur, wenn man mich darum bittet. Das Lied ist von 1972, doch eigentlich hätte ich es erst übermorgen schreiben können.

Sie lernen das Lied und sich selbst immer besser kennen?

Exakt.

Sie haben mal den schönen Satz gesagt: Wenn man älter wird, will man sofort küssen, nicht erst übermorgen.

Daran erinnere ich mich nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass ich das gesagt habe.

Also nichts, was einem am Herzen liegt, auf die lange Bank schieben?

Nein, das wäre doch unpraktisch.

Was würde passieren, wenn Sie aufhörten zu singen?

Ich denke, dass ich einen Tag später in einem Sarg liegen würde. Ich singe, so lange ich lebe. Ich kann mir ein Leben ohne zu singen nicht vorstellen.

Sie haben Ihren Hut, haben Ihre Geige und Ihre Lieder. Besitzen Sie inzwischen auch ein Smartphone?

Ja, ich besitze ein Smartphone, auch wenn ich es nicht oft benutze. Es ist eigentlich nur für die Kinder und andere Menschen, die mir sehr nah stehen. Mit dem Smartphone bin ich immer erreichbar, was sehr praktisch ist, aber bin selber nicht digital aktiv.

Gibt es etwas, was Sie gern noch ausprobieren würden?

Nein. Wenn es so weiter ginge wie bisher, gehör’ ich zu den glücklichsten Menschen der Welt.

Freitag, 3. Mai, 20 Uhr, in der Weimarhalle in Weimar; Karten unter Tel. (03643) 7450, www.weimar.de sowie im Ticketshop Thüringen und in allen Vorverkaufsstellen