Drehbuchautor Murmel Clausen: „Ich habe beim Schreiben geweint“. Dennoch soll Kommissar Lessing noch in wenigstens einem weiteren “Tatort“ dabei sein.

Der entscheidende Schuss fiel am Neujahrsabend schon nach acht Minuten, der Groschen aber pfennigweise und endgültig erst eine Stunde später: Kriminalhauptkommissar Lessing ist tot, erschossen in der Weimarer Parkhöhle, wo eine Verfolgungsjagd endete, als der Film gerade erst begonnen hatte. So hieß Das Erste an diesem Freitag das neue Jahr also mit einem Abschied willkommen, der alles andere als kurz und schmerzlos war: ausgerechnet in jenem „Tatort“, der seit 2013 den intelligentesten und zugleich aberwitzigsten Humor der Reihe kultivierte.

Der Weimarer „Tatort“ erreichte 8,89 Millionen Zuschauer im Ersten. Die Folge schaffte einen Marktanteil von 24,1 Prozent. Die Episode blieb etwas unter der durchschnittlichen Zuschauerzahl des Jahres 2020 von im Schnitt etwa 9,1 Millionen.

Murmel Clausen ist der Schreibtischtäter. Er hat Lessing umgebracht. Der Drehbuchautor verfasste sämtliche Bücher für Weimar, meist zusammen mit Andreas Pflüger. „Der feine Geist“, der nun eine unerwartete Wendung brachte und eine große Zäsur bedeutet, war sein insgesamt dritter Fall ohne Co-Autor und wurde zugleich: Tötung auf Verlangen. Oder, wie Clausen am Telefon sagt: Sterbehilfe. „Und ich habe beim Schreiben zwei Mal geweint: als Kira Dorn endlich zulässt zu begreifen, was geschehen ist, und in der Szene, in der sich Lupo in der Parkhöhle so umständlich von Lessing verabschiedet.“

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Instagram, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Es tue ja schon weh, wenn man nur einen einzigen Film schreibe und dessen Hauptfigur sterben lassen müsse, weiß Clausen aus Erfahrung. „Aber das nach zehn so schönen Filmen zu tun, haut einem so richtig den Schalter raus!“ Und das wohl umso mehr, als es nicht seiner Eingebung folgte. „Ich selber hätte das zu diesem Zeitpunkt nicht gemacht“, gesteht der Autor. „Von mir wäre nach zehn Filmen der Vorschlag nicht gekommen, einen der Kommissare sterben zu lassen.“

Er kam von Christian Ulmen. Und das scheint konsequent zu sein, wenn man weiß, dass der Weimarer „Tatort“ für den Schauspieler und Produzenten nicht die oberste Priorität bedeutet. Die gilt eher „Jerks“, seiner Online-Comedy-Serie. Unter anderem deshalb stand Ulmen schon in der Vergangenheit nur noch für jeweils sechs Drehtage in Weimar zur Verfügung. Was zur Folge hatte, dass Lessing den Fall „Die harte Kern“ in Untersuchungshaft verbrachte und in „Der letzte Schrey“ vorzugsweise über Funk mit seiner Frau und Partnerin Kira Dorn (Nora Tschirner) kommunizierte, bevor er nun, scheinbar, im Krankenhaus landete.

Kurz vor Drehbeginn zu „Der letzte Schrey“, im Sommer 2019, wusste Clausen, was im nächsten Film passieren sollte, der dann bis Mitte März 2020 gedreht wurde. Deshalb baut er damals bereits eine Anspielung ein, ein sogenanntes Foreshadowing: „Lessing sagt dort zu Kira, dass er getroffen werden könnte, aber sowieso immer bei ihr sein wird“, erinnert sich der Autor. Nun ist es also passiert. Nur dass Kira es verdrängte und auch wir, gleichsam mit ihr im Schockzustand befindlich, lange an einen harmlosen Streifschuss glaubten.

Das klug und sensibel gebaute Buch bescherte Lessing ein Leben nach dem Tod, ähnlich dem Bruce-Willis-Thriller „The Sixth Sense“. Dabei war Murmel Clausen selbst „erst einmal skeptisch, als die Idee an mich herangetragen wurde“, erzählt er. „Christian Ulmen meinte, es wäre doch super, wenn er zwar gleich am Anfang des Filmes stirbt, dann aber sofort wieder aufsteht und als Geist dabeibleibt. Ich kam dann darauf, diese Bombe erst nach 60 Minuten platzen zu lassen. Die Idee, die ich dazu noch nebenbei entwickelt habe, ist, dass Stich und Lupo dieses Gespinst am Ende auch akzeptieren.“

Es ist also wieder einmal Nora Tschirner, die den Film trägt, erst mit viel Scherz, dann mit noch mehr Schmerz. Und doch steigt Christian Ulmen mit Lessings Tod noch nicht aus dem „Tatort“ aus. Jedenfalls ist das nicht der Plan. „Möglich wäre, ihn als Gespinst weiterzuspinnen“, blickt Murmel Clausen voraus, „mindestens noch eine Folge lang, und dann zu schauen, wie das angenommen wird.“ Lessing würde demnach zum „Alter Ego von Kira, Lupo und Stich, die ihn ganz verschieden imaginieren.

Das könnte sehr reizvoll und lustig werden: wenn sich zum Beispiel Lupo Lessing vorstellt und der ihm dabei immer gut zuredet, dass in ihm ein großer Kommissar steckt und er immer schon an ihn geglaubt hat“. Was also auch heißt, dass Kripochef Kurt Stich (Thorsten Merten) dem „Tatort“ auf jeden Fall erhalten bleibt, obwohl sich der digitale Analphabet soeben anschickte, in die Cyberforce der Thüringer Polizei zu wechseln. „Er wird weiterhin im Privaten fröhlich vor sich hin scheitern, im Unerfüllten leben“, prophezeit Clausen. „Das ist einfach sein Schicksal.“

Derweil wird der Polizeitrottel vom Dienst, Ludwig Maria Pohl alias Lupo (Arndt Schwering-Sohnrey), wohl versuchen, Lessings Platz einzunehmen. „Aber das Zeug zum Kommissar hat er natürlich nicht. Und das wird ihm auch nicht plötzlich durch eine schreibende Fee zugesprochen.“

Das Grundkonzept für den nächsten Film hat Clausen bereits im Kopf und den Vertrag dafür in der Tasche. „Aber weil wegen der ganzen Corona-Verschiebungen 2021 sowieso nicht gedreht wird, werde ich das Buch ganz in Ruhe entwickeln.“ Es mit Lessings Tod ganz und gar bewenden zu lassen, kam demnach nie infrage. „Wir haben es geschafft, mit nun insgesamt elf Filmen Kira Dorn zu einer der beliebtesten ,Tatort‘-Kommissarinnen werden zu lassen“, erinnert der Drehbuchautor. „Damit wollen wir nicht aufhören. Was wir machen, kommt gut an.“ Das sei prima fürs Ego, mache aber vor allem unheimlich großen Spaß. „Solange der MDR an uns und diese Reihe in Weimar glaubt, solange möchte ich auch gerne weitermachen.“