Weimar. Wie ukrainische Künstler in Weimar an den Schmerz von Babyn Yar erinnern

Svetlana Kundish stimmt eine yiddische Melodie an. Leise, ziehend. Mariana Sadovska und Yuriy Gurzhy nehmen sie auf, ihr Gesang schwillt an zu einer melancholischen, trotzigen Fröhlichkeit.

So beginnt dieser Abend. Ein Projekt des Yiddish Summer, das sich der Erinnerung Babyn Yar widmet. Die Schlucht bei Kiew, wo die deutschen Besatzer im September 1941 innerhalb von zwei Tagen 33.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer zusammentrieben und erschossen.

Sie mussten ihre Kleidung ablegen, sich mit dem Gesicht zur Erde legen. Die noch Lebenden auf die Toten. Die Schüsse, erzählte man sich in Kiew, waren die ganze Nacht über zu hören.

Svetlana Kundish, in der Ukraine aufgewachsen, ist heute Kantorin in der jüdischen Gemeinde Braunschweig. Mariana Sadovska stammt aus Lwiw, die Beschäftigung mit traditioneller Musik gehört zum Kern ihrer künstlerischen Arbeit. Yuriy Gurzhy aus Charkiw lebt seit 1995 in Berlin, wo er mit Wladimir Kaminer die Russendisko erfand. Drei Künstler aus der Ukraine, die sich mit ihren unterschiedlichen Hintergründen und Handschriften dieser offenen Wunde stellen, die Babyn Yar bleibt, auch im Umgang mit der Erinnerung, die in der Sowjetunion lange verdrängt wurde.

Ein Video zeigt das Gesicht einer alten Frau: Rachil Blankman aus der jüdischen Gemeinde Braunschweig. Als die Deutschen Kiew besetzten, war sie 13 Jahre alt. Ein Evakuierungszug nach Osten rettete sie, ihre Familie sah sie nie wieder. Die Radiostimme Lewitans, der den deutschen Überfall auf die Sowjetunion verkündete; das Brot, das sie an jedem Tag holte; die Arme des Vaters bei der letzten Umarmung auf dem Bahnsteig: Erinnerungen, denen Svetlana Kundish mit der Kamera behutsamen Raum gibt.

Yuriy Gurzhy liest aus dem biografischen Roman von Anatoli Kusnezow, der als 13-Jähriger die deutsche Besatzung Kiews erlebte. Von der Schlucht die so groß war, dass ein menschlicher Ruf kaum von einem Ende zum anderen reichte. Vom Befehl der deutschen Besatzer an alle Juden, sich am 29. September bis 8 Uhr einzufinden. Von Mitleid und Mitleidlosigkeit ukrainischer Nachbarn, als sich der endlose Zug der Verurteilten zur Schlucht bewegte. Anatoli Kusnezow musste lange kämpfen, bis dieses Buch in der Sowjetunion erscheinen konnte und emigrieren, um es unzensiert zu veröffentlichen.

Übersetzung von Sprachlosigkeit in Atmosphäre

Mariana Sadovska hat Gedichte der ukrainischen Lyrikerin Marianna Kiyanowska über Babyn Yar vertont, deren Dringlichkeit sie nicht entkommen konnte. Später erinnert sie an die Millionen Verhungerten des Holodomor, von der Vernichtung der ukrainischen Eliten durch Stalin. Sie erzählt von der Dichterin Olena Teliha, die den ukrainischen Nationalisten nahestand, die sich von den deutschen Besatzern Hilfe im Kampf um ihre Ziele erhofften. Und die von ihnen ermordet wurde, in Babyn Yar. Sie spricht von den Millionen Ukrainer, die in der Roten Armee kämpften. Und von den ukrainischen Kollaborateuren, die es gab. Auch dort, in der Schlucht. Wie soll ich, fragt sie, umgehen mit diesem doppelten Erbe? Dessen dunkler Seite man sich stellen müsse. Wenn wir nicht wollen, dass sie nicht instrumentalisiert wird, die schmerzvolle und widersprüchliche Geschichte.

Dann stimmt sie ein ukrainisches Lied an, dass wie der Klagegesang klingt, wenn man einen Toten zu Grabe trägt.

Ukrainisch, Jiddish, Russisch sind die Sprachen, in denen sich dieser Abend vor allem bewegt. Die auf die Bühne projizierten Übersetzungen und die kindlich anmutenden Zeichnungen gleichen flüchtigen Fragmenten, die schwer greifbar sind, sich überlagern. So wie die Lieder der Künstler, die zwischen Sprache und Stimmung und Ton verschwimmen.

Das schafft einen beklemmenden assoziativen Raum, darin liegt die große Stärke dieses Abends. Er übersetzt gewisserweise die Sprachlosigkeit, die Baby Yar hinterlassen hat, in Atmosphäre. Ein Requiem für die Toten.