Weißenborn. Am 9. Februar 1945 kollidieren über dem Mühltal zwei amerikanische Bomber. Nur ein Heckschütze überlebt. An der Unglücksstelle gibt es seit 1993 einen Gedenkstein.

Der Diplom-Museologe und Historiker Jörg Petermann aus Weißenborn holt eine rote Schachtel in sein Wohnzimmer und nimmt den Deckel ab. Darin die Überreste einer Geschichte, die schon 75 Jahre zurück liegt, einer Tragödie. Er nimmt kleinere Wrackteile eines ehemals stattlichen Flugzeugs heraus, Ventile von der Lüftung, einen alten Lederhandschuh, Kompassring, ein Stück der geschmolzenen Frontscheibe, das Mundstück einer Pfeife, die Plakette mit allen technischen Daten vom Motorblock, ein Stofffetzen vom Fallschirm. Unweigerlich versucht man sich vorzustellen, was damals genau passiert ist und wie sich die jungen Amerikaner an Bord der Unglücksmaschine – alle erst zwischen 19 und 23 Jahren alt – gefühlt haben müssen. Jörg Petermann, heute 59 Jahre alt und leidenschaftlicher Historiker, hat versucht, jene Ereignisse zu rekonstruieren, über die viele Jahre Ungewissheit und Stillschweigen herrschte.

Die ehemalige B-17-Besatzung von 1945 des über dem Mühltal abgestürzten Flugzeuges.
Die ehemalige B-17-Besatzung von 1945 des über dem Mühltal abgestürzten Flugzeuges. © 303rd. Bombergroup | 303rd. Bombergroup

In den Morgenstunden des 9. Februar 1945 starten im englischen Molesworth 39 B-17 Bomber in Richtung Deutschland mit dem Ziel, die Raffinerie in Lützkendorf bei Zeitz zu vernichten. Für acht Stunden war der Einsatz geplant. Die B-17-Bomber, groß wie eine Verkehrsmaschine und nicht umsonst „Flying Fortress“ (deutsch: Fliegende Festung) genannt, hatte zehn Bomben an Bord, vier MG-Schützen und rund 1000 Kilogramm Patronenmunition. Über Jena jedoch gerät die Staffel in starken Flak-Beschuss und die Maschine von Leutnant Alfred K. Nemer wird getroffen. „Er hat das Flugzeug hochgerissen und ist dadurch mit der vor ihm fliegenden Maschine von Leutnant Robert J. Barrat kollidiert, hat ihr das Heck abgerissen, wo der Heckschütze George Emerson saß“, erzählt Petermann.

Die fast manövrierunfähige Maschine von Barrat verliert schnell an Höhe und der Pilot entscheidet, die Bomben abzuwerfen. In der Jenaer Straße in Eisenberg schlagen sie ein, explodieren zwar nicht, zerstören dennoch zwei Häuser und töten zehn Menschen. Es ist das Haus von Jörg Petermanns Uropa. Als er als Fünfjähriger dort spielt, erinnert er sich an das Rotorblatt des Flugzeugs, das im Hof steht. Die Geschichte dahinter wird dem Historiker allerdings erst später klar. Aus 6000 Meter Höhe kracht die Maschine schließlich um 13.04 Uhr oberhalb der Pfarrmühle im Mühltal in den Hang und brennt völlig aus. Die Abdrücke von Cockpit und der vier Motoren kann man noch heute erkennen. Die acht jungen Amerikaner an Bord sterben. Einzig der damals 19-Jährige Heckschütze Emerson überlebt, landet mit seinem Fallschirm in der Nähe von Königshofen, wo man ihn gefangen nahm. Später erzählt er, dass er noch ein zweites Mal dem Tod entkommen ist, als ein Bauer ihn mit der Mistgabel umbringen wollte und ein anderer dies verhinderte. Die NS-Führung hatte damals angewiesen, alle feindlichen Piloten sofort umzubringen. Heute lebt George Emerson 94-jährig in den USA.

Der Museologe und Historiker Jörg Petermann (59) aus Weißenborn.
Der Museologe und Historiker Jörg Petermann (59) aus Weißenborn. © Ulrike Kern | Ulrike Kern

Dann legt sich der Mantel des Schweigens über das Unglück. Die Toten werden auf dem Eisenberger Friedhof begraben, im Juni 1947 jedoch wieder exhumiert und nach Amerika überführt. Die größeren Wrackteile werden abtransportiert und vermutlich wieder eingeschmolzen. Oberflächlich ist in den folgenden Jahren von der Tragödie fast nichts mehr zu sehen – wenngleich die Erinnerung immer über dem Mühltal schwebt. „Die USA ist zu DDR-Zeiten der Erzfeind. Hätte damals jemand gegraben und recherchiert, wäre sofort die Polizei gekommen“, ist sich Petermann sicher. 1990 suchen schließlich Jugendlich aus Eisenberg an der Unglücksstelle, finden alte Munition, was sofort Polizei und Kampfmittelräumdienst auf den Plan ruft. Nach der Freigabe beginnen schließlich Jörg Petermann, Uwe Benkel und Jürgen Heuer nach weiteren Überresten und Antworten zu suchen. Die drei finden noch menschliche Knochenstücke, einen Ehering mit Initialen, einen weiteren Ring, diverse Typenschilder von der Unglücksmaschine. „Ich hatte damals Gänsehaut. Das war sehr ergreifend. Besonders der Ehering erregt international Interesse“, erinnert sich der Historiker.

Sie nehmen Kontakt zur Reservistengruppe auf und mit Hilfe von US-Archiven wird nach 48 Jahren endlich die Identität der Besatzung und des Bombers geklärt. Harold A. Susskind, Chef der 303rd Bomb Group Association, hilft den drei Forschern beim Auffinden von Nachkommen. Dabei findet man auch George Emerson, den Heckschützen des Bombers. Mittlerweile ist die Idee geboren, den Opfern im Mühltal und aus der Jenaer Straße einen Gedenkstein zu setzen und 1993 wird das eigenfinanzierte Projekt der drei Forscher dann auch umgesetzt. Fast 100 Gäste nehmen an der Zeremonie teil, Vertreter des amerikanischen Konsulats und er US-Armee, sogar George Emerson und Familienangehörige der anderen Besatzungsmitglieder.

Auch der Verbleib der zweiten B-17-Maschine von Alfred Nemer wird mit Hilfe polnischer Forscher aufgeklärt. Nemer hatte versucht, mit seiner beschädigten Maschine hinter die Frontlinie zu fliegen. Ihm war klar, dass eine Notlandung in Deutschland den sicheren Tod bedeutet hätte. Doch auch diese Maschine stürzte schließlich im polnischen Jaraczewo ab und riss fünf junge Amerikaner in den Tod. Heute steht auch dort ein Denkmal, was der damals elfjährige Ryszard Czabanski und Augenzeuge des Absturzes, errichten ließ.

Jörg Petermann klappt die rote Kiste wieder zu. Irgendwann will er ein Buch darüber schreiben. Das Interesse an der Geschichte ist nach wie vor groß, berührt noch immer und Material dafür hat er genug. Ein ganzes Album voll mit Fotos Zeitungsartikeln, Briefwechsel und Dokumenten sind zusammen gekommen. Sogar US-Präsident Bill Clinton hat ihm in einen Brief gedankt. Den Inhalt der roten Kiste, die letzten Reste der Maschine quasi, auch die haben die Amerikaner dem Diplom-Museologen überlassen. Sie wissen es bei ihm in guten Händen, um weiter das Andenken der jungen Amerikaner hier zu pflegen.