Thalbürgel. Warum der Chef des Aspida-Lebenszentrums Thalbürgel sich für ein verpflichtendes soziales Jahr ausspricht.

Als vor zehn Jahren in Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft wurde und somit auch der Zivildienst als Alternative wegfiel, verwies ich auf die wahrscheinlichen Auswirkungen. Mit der Abschaffung würde etwas Existenzielles in der Prägung junger Männer in Deutschland und damit in seiner Gesellschaft entfallen. Zudem habe ich seinerzeit vor einer sozialen Abkühlung gewarnt, die dadurch entstehen wird. Leider ist genau das in unserem Land eingetreten.

Während des Dienstes bei der Bundeswehr haben die jungen Soldaten gelernt, sich in einer Gruppe ein- sowie unterzuordnen, Entbehrungen hinzunehmen und unkommentiert das zu tun, was von ihnen verlangt wird. Das mag dem einen oder anderen einer Entmündigung gleichkommen, doch ist es vielmehr ein Training zur Akzeptanz gegebener Hierarchien.

Auf der anderen Seite mussten auch Zivildienstleistende Teamfähigkeit erlernen, eine völlig fremde Tätigkeit übernehmen und sich für Menschen einsetzen, die sie kaum kannten. Auch waren sie angehalten, Dinge zu leisten, die in vielen Fällen Überwindung kosteten. Im Gegenzug wurden sie mit sozialer Wärme, Anerkennung und vor allem Dankbarkeit belohnt. Ihre Erfahrungen brachten sie später in ihre Berufe ein und trugen sie in Führungsetagen sowie in politische Ämter auf kommunaler, Landes- und Bundesebene.

Sebastian Thieswald ist der geschäftsführende Gesellschafter der Aspida GmbH, die das Aspida-Lebenszentrum in Thalbürgel betreibt.
Sebastian Thieswald ist der geschäftsführende Gesellschafter der Aspida GmbH, die das Aspida-Lebenszentrum in Thalbürgel betreibt. © Aspida GmbH | Aspida GmbH

Diese Eigenschaften vermisse ich in den letzten Monaten und Jahren zunehmend. Natürlich übernehmen Politiker vielschichtige Aufgaben. Nicht jeder kann sich mit Pflegeberufen beschäftigen oder den sozialen Sektor aktiv bearbeiten. Doch sollten sie nicht dennoch darüber nachdenken, anderen den Weg dafür zu ebnen? Wie und wo soll Man(n) die dafür grundlegenden Tugenden erlernen, wenn die dafür prädestinierten Etappen fehlen? Ferner noch: Wie wollen wir junge Menschen in die Lage versetzen, die Werte und Prinzipien des Miteinanders zu erfahren, wenn wir sie gesellschaftlich nicht dazu erziehen?

Zivildienst war optimaler Weg

Die Erfahrung zeigt, dass die Bereitschaft, sich für die Pflege, die Medizin oder einen anderen sozialen Beruf zu entscheiden, zumeist durch praktischen Einbezug in diese entsteht. Der Zivildienst war (und sollte wieder sein) der hierfür optimale Weg. Seit vielen Jahren sprechen wir von einem wachsenden Pflegenotstand. Verbände, Vereine, aber auch einzelne Mitarbeiter*innen aus dem Pflegebereich haben aufbegehrt, Petitionen eingereicht, Diskussionen angeregt und selbst Studien in Auftrag gegeben. Eigentlich wären das Aufgaben der Regierungen gewesen. Aber all diese Initiativen beeinflussten kaum Entscheidungen noch setzen sie in ausreichendem Maß dringend notwendige Prozesse in Gang. Es scheint, als fehle es dem politischen Establishment in diesen Bereichen an Erfahrungen und notwendigen Werten.

Ich wünsche mir, sobald wir Corona in den Griff bekommen, dass die entscheidenden Köpfe in den Ministerien die Ärmel hochkrempeln, soziale Einrichtungen besuchen, von denen sie stets lobend sprechen, und den Alltag unserer Mitarbeiter begleiten. Vielleicht verstehen sie dann, wie sehr wir eine Etappe zum Erwachsenwerden wie die des Zivildienstes benötigen.

Aufgrund der corona-bedingten Krise in vielen Teilen der Wirtschaft wird es in diesem und in den nächsten Jahren viel weniger Ausbildungsplätze geben. Es entsteht ein Leck im Ausbildungsmarkt, das nicht nur überbrückt werden, sondern geschlossen werden muss. Gerade jetzt ist die Zeit günstig, ein verpflichtendes soziales Jahr, in dem junge Menschen den Weg ins Berufsleben finden und zugleich ein Verständnis für soziale Berufe entwickeln, einzuführen: Klingt das nicht nach einer herausragenden Chance für alle? – Und das Gute daran: Wir wissen, wie es möglich ist, denn der Zivildienst ist nicht neu.

Thüringer SPD will Pflegeberuf mit ungewöhnlichem Vorhaben wieder attraktiv machen