Marktgölitz. Nah dran Mit nur 20 Jahren wurde Leona Escherich 1983 Bürgermeisterin ihres Heimatdorfes. Nun hört sie auf und blickt für OTZ auf ihre 36 Jahre im Amt zurück

Am 1. Mai 1983 trat Leona Escherich mit gerade einmal 20 Jahren in Marktgölitz ein Amt an, von dem sie nicht glaubte, dass sie es bis heute ausüben würde. Nach neun Wahlperioden beendete sie das Engagement als Ortschefin des 480-Einwohnerzahl-Dorfes im Gölitzgrund und trat zur letzten Kommunalwahl Ende Mai nicht wieder an. Ihr Nachfolger: SPD-Gemeinderat Steffen Handke. Für OTZ erinnert sich die heute 56-Jährige an Einkellerungskartoffeln und Schweinemastverträgen, das Abenteuer Wendezeit und unvergessliche Feste.

Frau Escherich, 36 Jahre lang haben Sie die Geschicke ihres Heimat- und Geburtsortes gelenkt. Wie merkwürdig fühlt sich das Ende davon an?

Eigentlich gar nicht. Ich bleibe dem Ort ja als Bürgerin erhalten und stehe wenn gewünscht für Rat zur Verfügung. Für die Ortsteilratswahl am 3. Juli werde ich allerdings nicht kandidieren.

Amtsantritt mit 20 – wie sind sie dazu gekommen?

Buchstäblich wie die Jungfrau zum Kinde! Bei einer unserer Jugendversammlungen im Ort, als der Posten gerade zur Disposition stand, schlug mir meine Vorgängerin plötzlich vor, ich solle es nach ihrem Ausscheiden doch mal versuchen. Ganz perplex erzählte ich abends meinem Mann davon. Der sagte nur: Dann mach’ es doch einfach! Und da machte ich es.

Wären Sie heute noch einmal 20, würden Sie es wieder tun?

Eigentlich wollte ich ja nie ein Verwaltungstyp sein, hatte ursprünglich vor, nach meiner Lehre zur Zootechnikerin/Mechanisator Veterinärmedizin zu studieren. Aber ich habe mich eben schon immer gern für die Menschen in meinem Ort. Es geht sowieso nichts ohne ein gutes Team und die Familie. Beides hatte ich immer hinter mir. Heute sind die Bedingungen eben anders. Ich habe aber nie bereut, dass es so gelaufen ist.

Wenn Sie einen Höhepunkt ihrer Amtszeit benennen sollten, welcher wäre es?

Schwierig. Unsere 650-Jahr-Feier 1987 hat im ganzen Landkreis ihresgleichen gesucht, und da gab es viele Jahresfeiern. Der ganze Ort war auf den Beinen, auch die Versorgung hat wie am Schnürchen geklappt – und hier reden wir ja von Zeiten, in denen es schon schwierig war, für ein Festwochenende durchgängig die Bratwürste zu bekommen. Das war ein Ereignis, über das auch heute noch die Menschen reden. Dann die Wendezeit mit all ihren politischen Veränderungen, aber auch meinen persönlichen; das Examen, die Geburt der Tochter, der Eigenheimausbau. Es waren spannende Jahre. Wir saßen nicht nur einmal bis nachts halb eins im Gemeinderat.

Und die andere Seite der Medaille?

Das schwere Hochwasser 1994 dem fast unsere komplette Infrastruktur zerstört hat. Und das kurz nachdem wir mit der Sanierung von Schäden an Bach und Straße, die teilweise noch auf die Flut von 1969 begonnen hatten. Auch unser Schwimmbad wurde beschädigt. Es war wohl die größte Zäsur für Marktgölitz.

Erhalt und Sanierung des Bades sind aber schon ein Erfolg in der Dorfgeschichte.

Absolut. Es ist ein echtes Pfund und würde übrigens im Jahr 2007 von den OTZ-Lesern zum beliebtesten im ganzen Landkreis gewählt. In einer Studie aus den neunziger Jahren attestierte eine Leipziger Studie dem Bad sogar Förderwürdigkeit. Es ist aber auch viel verloren gegangen nach der Wende: Arztpraxis, Post, die Filialen von Sparkasse und Raiffeisenbank, Frisör, Bahnhalt. Was freilich nicht nur uns so ging. Immerhin, unseren Kindergarten konnten wir immer halten. Der Sanierungsstau ist aber enorm.

Welche Zeit war die schönste, um Kommunalpolitik zu machen?

Es hatte immer seinen Reiz. Mein Eindruck ist, dass wir damals ein engeres Bürgermeisterkollektiv hatten, man hat sich gegenseitig unterstützte. Zur DDR-Zeit musste sich eine Gemeindeverwaltung und ein Gemeinderat ja noch mit Dingen befassen, die heute undenkbar wären. Als ich anfing, haben wir uns noch um die Termine für die Einkellerungskartoffeln gekümmert. Oder Kohlekarten und Holzeinsätze für den Forst. Ich erinnere mich an Wettbewerbsprogramme und Arbeitseinsätze, zum Beispiel zum Mähen der Straßenränder, den Kultursaal und den Kindergarten. Die Gemeinschaft war schön. Heute denke ich mir manchmal, dass einiges wiederkommen könnte.

Sie sind parteilos. Aus Überzeugung?

Ich bin mit 18 in die SED eingetreten und das nicht, weil es mir nahegelegt wurde, sondern aus Überzeugung, ja. Nach der Wende standen durchaus einige politische Vertreter vor meiner Tür und wollten mich gewinnen. Da habe ich mir gesagt, nie wieder in eine Partei zu gehen. Sicher wäre ich ohne nicht Bürgermeisterin geworden. Aber ich sage auch: Wäre es davon abhängig gemacht worden, hätte ich es gelassen. Ich wollte unabhängig sein und der Sache dienen.

Der Probstzellaer Bürgermeister wirbt für eine Landgemeinde. Was halten Sie davon?

Ich sehe mich eher als Verfechterin kleiner Strukturen und kurzer Wege, eingebunden in eine größere, qualifierte Verwaltung. Meiner Meinung nach geht dadurch vieles effizienter. Trotzdem sehe ich die Idee in unserem Gebiet als vorteilhaft, zumal alle drei Partner relativ gleichstark sind. Fakt ist ja, dass die kleine Gemeinde ausstirbt. Es wird wohl auf kurz oder lang kein Weg daran vorbeiführen.

Was geben Sie dem Politiknachwuchs mit auf den Weg?

Es gehört immer auch Respekt vor der Lebensleistung anderer dazu. Das vermisse ich heute manchmal. Vielleicht werde ich gerade wehmütig, aber wenn ich an die alten Filmaufnahmen vom Freibadbau denke, mit welcher Mühe es entstand, sehe ich das als Verpflichtung, so etwas zu erhalten. Als der Streifen letztes Jahr beim Chronikabend aufgeführt wurde, war der Saal brechend voll.

Wo kam und kommen Sie nach dem Arbeit runter?

In der Natur und in der Familie. Meine beiden Kinder und die vier Enkel wohnen alle noch in Marktgölitz.