Gera. Gästeführer Uwe Lehmann will mit seinen Rundgängen den Tod ins Leben bringen

Die Sonne bahnt sich ihren Weg durch die jahrhundertalten Linden, Kiefern und Eiben. Wenige Menschen sind an diesem frühen Morgen auf dem Südfriedhof. Sie bringen Blumen, um Verstorbenen zu gedenken. Straßenlärm hallt. Er übertönt fast das Vogelgezwitscher. „Karfreitag ist es leiser“, so Uwe Lehmann. Zweimal im Jahr führt der 46-Jährige Besucher zu Grabstätten bedeutender Personen, die zu Lebzeiten viel für das Gemeinwohl und das Wachsen von Gera getan haben. „Auf Friedhöfen erleben wir Zeitgeschichte“, fügt der Gästeführer an. „Und oft entdeckt man wunderbare Kunstwerke.“ Er zeigt auf das Grab von Selmar Werner, einem in Gera aufgewachsenen Bildhauer. Es ist schon mit Efeu überwuchert. Und Grünspan hat längst die von ihm geschaffene Bronzefigur des ruhenden Pilgers überzogen. Als Werner 1953 starb, fand er neben Vater und Mutter seine Ruhestätte. „Bis 2002 war noch eine Metalltafel mit einem Gedicht von ihm für seine Eltern angebracht“, berichtet Lehmann. „Die wurde gestohlen.“

Von Selmar Werner geschaffene Pilger sind in Schmölln, Leipzig und Berlin zu finden. Was wenige wissen, das Grabmal Karl Mays auf dem Friedhof Radebeul gestaltete der Bildhauer. Uwe Lehmann überlegt schon eine Weile, die Patenschaft für Selmar Werners Grabmal zu übernehmen.

Elf Patenschaften gibt es auf dem Südfriedhof, drei auf dem Ostfriedhof. Mit viel Liebe kümmern sich Privatpersonen um Ruhestätten wie zum Beispiel die der Familie Buchholz.

Eine lose Gemeinschaft fand sich vor einem halben Jahr zusammen. Sie will die historischen Wandgräber erhalten. . Acht von den 200 Gräbern wurden ausgewählt.

Auf imposante Stätten weist Uwe Lehmann während seines Rundgangs hin. „Die Grabanlage von Justizrat Rudolf Müller, der von 1839 bis 1903 lebte, ist dem Jugendstil angelehnt. Von wilhelminischer monumentaler Architektur zeugt dagegen die Stätte des Geraer Unternehmers Wilhelm Focke. Er wurde 1904 beigesetzt. Links und rechts sind Palmenwedel in Stein gemeißelt. Ich glaube, es ist die größte Grabstätte auf dem Friedhof.“

Unweit ist die Gruft der Familie Plarre. Otto Plarre hatte 1920 den Geraer Schwimmverein gegründet. Seine Tochter war die erste deutsche Frau, die den Ärmelkanal durchschwommen hat.

Drei Schwerter in einem Herz ist das Wappen der Familie Ferber. Sie habe viel für die Stadt getan, Stiftungen gegründet, den Ferberturm errichten und den Botanischen Garten anlegen lassen.

„Stopp“, ruft der Gästeführer. „Schauen Sie.“ Er mahnt nicht achtlos vorbeizugehen. ­Unscheinbar steht ein kleiner Stein im Gras. Max Hubricht (1884-1966) ist zu lesen. Dem Stadtarchitekten haben wir unsere Puppenbühne zu ver­danken. Schmunzeln muss ­Lehmann, wenn er die Geschichte von Frau Pitschel erzählt. Sie behauptete, ihre Familie würde laut Ahnenforschung von Maler Lucas Cranach dem Älteren abzustammen. Aber: Die heute noch lebenden Cranach-Nachkommen entdeckten keine Pitschels im Stammbaum. Der Hinweis mit goldener Schrift prangt immer noch auf der Tafel obwohl diese nicht stimm.

„Mit meinen Rundgängen will ich den Tod ins Leben bringen. Für viele Menschen ist die Vergänglichkeit noch ein Tabu-Thema“, sagt Lehmann. Für ihn nicht. Er möchte nicht irgendwo anonym begraben werden. Und die Inschrift auf seinem Stein sollte lauten: Fortsetzung folgt.

Rundgänge auf Friedhöfen am Karfreitag

Die Rundgänge auf Geras Friedhöfen (Süd- und Ostfriedhof sowie auf dem Unterhäuser Friedhof) bieten die Gästeführer des Vereins Gästeführer Region Gera an.

Südfriedhof Gera von 11 bis 12.30 Uhr mit Uwe Lehmann

Untermhäuser Friedhof von 14.30 bis 13.30 Uhr mit Edda Kühn und Monika Dölitzscher

Treffpunkt ist jeweils am Haupteingang. ­Tickets können zu ­Beginn der Führung ­erworben werden.

Wer sich für eine Grabpatenschaft interessiert oder in der losen ­Interessengemeinschaft zur Erhaltung der historischen Wandgräber mitmachen möchte, meldet sich bitte bei der Friedhofsverwaltung unter der Telefon­nummer (0365) 8 33 38 11